: Klasse Aktionen
Es ist vier Uhr nachts, und die Kulturwissenschaft ist noch wach. Wie der Streik Studenten motiviert
VON DETLEF KUHLBRODT
Irgendwie gehen mir die symbolischen Aktionen der Studierenden auf den Geist: mit Särgen, in denen die Bildung liege, durch die Straßen zu rennen, in die winterliche Spree zu springen, um zu verdeutlichen, dass die Bildung baden gehen würde, nackt den Ku’damm entlangrennen, weil die Studierenden gerade ihr letztes Hemd hergeben müssen – gähn! Nackte Proteste sind zwar immer zu begrüßen, sagte ich, aber trotzdem nervt es doch, dass die, die ihr Recht auf Bildung einklagen, ihren Protest in blöden Parteitagsmetaphern – einen neuen Besen für den neuen Vorsitzenden – formulieren, die einem immer als schlagender Beweis für die Geistfeindschaft der Politiker erschienen waren. Das ist doch niveaulos!
E., eine Ethnologielangzeitstudentin, die seit dem Streik nicht mehr schlecht über Studenten redet, ihre Liebe zur Bildung wiederentdeckt hat, die der Streik – zunächst absurder-, wenn man jedoch ein bisschen drüber nachdenkt, doch eher logischerweise – zurück zum Studium gebracht hat, sieht das nicht so und fand meine Kritik geschmäcklerisch! Wir trafen uns im Café des Hau-2, der zweiten Bühne des Berliner Hebbel Theaters am Ufer, das Kulturwissenschaftsstudenten der Humboldt-Uni für 24 Stunden am Wochenende besetzt hatten. In dieser Zeit gab’s Vorlesungen, Diskussionen, Kultur und Theater. Wir standen am Tresen des zum Hebbel Theater gehörigen Cafés, das mit der Geschichte einen Spitzenumsatz machte, und erörterten die Sachlage.
E. sagte: Die Aktionen waren doch super! Wenn es darum geht, Öffentlichkeit herzustellen, ist es doch gut, wenn man sich für die Protestformen entscheidet, über die dann auch in den Medien berichtet wird. Und es sei arrogant, so etwas unter ästhetischen Gesichtspunkten zu beurteilen.
– Ist ja auch ziemlich krass, antwortete ich, wenn man sich vorstellt, dass das Lehrangebot der Kulturwissenschaften zwischen 1998 und 2009 nur noch halb so groß sein wird, wenn alles so läuft wie geplant. Aber. Dem Kultursenator, Thomas Flierl von der PDS, einem ehemaligen Kulturwissenschaftsstudenten, sind doch die Hände gebunden. Der findet das doch auch nicht gut, was er zu verantworten hat – Sachzwänge hier, Sachzwänge da, und wenn er den Unis dann wieder etwas zuschustern wollte, müsste er das anderen wieder wegnehmen. Ich kauf ja auch bei Aldi, um die Zigaretten-, Bier- und Mietsteigerungen auszugleichen.
– Dann soll er halt gehen. Oder den Leuten vom Bankenskandal was wegnehmen. Oder den Rüstungsetat kürzen, ha ha. Hast du dich mal Haushaltspolitik beschäftigt?
– Nö.
– Ich auch nicht. Trotzdem!
Es war drei Uhr nachts. In der Nähe rauchte ein 68er-Aktivist Hasch, aufgedrehte Studenten hatten hübsche Ringe unter den Augen und ein Medienwissenschaftler lachte darüber, dass die Kulturwissenschaftlerin Annette Bitsch, die gerade einen Vortrag über „Jacques Lacans Blick auf die Lage des 20. Jahrhunderts“ hielt, also tatsächlich Annette Bitsch heiße. Der Vortrag sei toll gewesen, habe alles erklärt und mit den schneidenden Worten begonnen – (jemand machte sie nach) – „Kann man mich hören? … Es ist wichtig, dass man mich hört!“ Jemand erwähnte fast ehrfürchtig, dass Bitschs Veranstaltungen grundsätzlich nur nach Sonnenuntergang stattfinden würden.
Es war vier, und die Kulturwissenschaft war immer noch lebendig, das Theater immer noch proppenvoll, still lächelte Intendant Matthias Lilienthal vor sich hin, und auf der Bühne wurde über Mangas und Animes gesprochen. Mehr als die medienwirksamen Proteste, die bloßen Zahlen, die brutalen Kürzungen, die vor allem die weichen Bildungsfächer treffen, überzeugte, begeisterte die Aktion. Auf die geplanten Kürzungen, die im Falle der bei Studenten extrem beliebten Kulturwissenschaften zur Schließung des Fachbereichs führen würden, reagierten die Studenten und beteiligten Dozenten und Professoren mit Verausgabung. Der Streik schien das beste Argument für den Streik. Wenn gesagt wird, die studentischen Proteste seien eine Liebeserklärung an die Universität, so ist es doch eine, die eine Universität meint, die es zuvor nicht gab und danach – so steht zu befürchten – auch nicht geben wird. Eine Universität, in der Studierende und Lehrende miteinander lernend die real existierende Entfremdung bekämpfen, sich Bildung zu Eigen machen. (Wie soll man sagen?) Ganz platt auch: Zuvor studierten viele allein vor sich hin und jetzt studieren sie halt zusammen.
Und wenn man’s mal aus kulturkonsumistischer Sicht sehen wollte: Die 24 Stunden Kulturwissenschaft auf der Bühne des Hau-2 überzeugten. Auch die, die vielleicht allzu sehr im universitären Jargon verblieben, trugen zu diesem Erfolg bei.
Schön auch, dass erst gegen Ende Friedrich Kittler frei sprach – es ging um Sophokles, in Nebensätzen gegen das lustfeindliche Christentum, aber auch um die bildungsfeindliche Pest in Berlin, und am Ende wünschte der Professor den Studenten noch viel Erfolg mit ihrem „tapferen“ Streik.