: Auf türkisch heißt es Amin
In einer Essener Kirche werden christlich-muslimische Friedensgebete abgehalten, für den Franziskanerpater eine Form der multikulturellen Basisarbeit
AUS ESSEN MARTIN KUHNA
Die alte Frau mit dem Topfhut dreht ihren Kopf über die Schulter, ihr Blick scheint Misstrauen zu verraten. Durch den Mittelgang schreitet ernst und kerzengerade eine junge Frau und setzt sich in eine Kirchenbank. Die Türkin oder Araberin trägt ein Kopftuch nach muslimischer Art. Ganz hinten sitzt ein ebenfalls ernster junger Mann. Mit Bart und seinen großen, verschatteten Augen erinnert er an Fahndungsplakate nach dem „11. September“.
Aber nichts ist, wie es auf den ersten Blick erscheint: Die junge Frau mit Kopftuch, Suna Gürleyen, ist eine muslimische Türkin, wenig später steht sie an der Kanzel und liest eine Fürbitte – auf Deutsch, akzentfrei. Nach ihr liest eine zweite junge Frau, auch sie könnte Türkin sein. Ohne Kopftuch, aber ihr Deutsch klingt weit fremdländischer: Elvia Khalil ist aus dem Libanon. Aber Christin. Der düster wirkende junge Mann wird später zu seinem Golf gehen und die paar Meter nach Hause fahren: Sami Traouli ist Tunesier, wohnt seit zehn Jahren im Viertel, ist mit einer Deutschen verheiratet und war schon öfter bei solchen Gottesdiensten. Auch die Frau mit dem Topfhut wird kaum misstrauisch sein – sonst wäre sie nicht hier, beim christlich-islamischen “Friedensgebet“ in der Essener Heilig Kreuz-Kirche.
Vor Monaten war der Abend geplant worden, wie schon einige Male zuvor. Nun fällt er in die Zeit nach dem Mord an Theo van Gogh in Amsterdam. Und allenthalben wird verkündet: Ende der Toleranz, Schluss mit dem Getue, zurück zur Leitkultur. Der islamisch-christliche Gottesdienst liegt quer zum Zeitgeist, „Gutmenschen“ wie die Organisatoren werden bestenfalls verspottet. Doch sie machen unverdrossen weiter mit ihrer multikulturellen Basisarbeit.
Franziskanerpater Christoph Höttges, Gemeindepfarrer von Heilig Kreuz, ruft Franz von Assisi an als Zeugen für sein Motiv, dass Christen und Muslime „im Gedanken an Gott in gegenseitigem Respekt die Zukunft gemeinsam gestalten“. Götz Kreitz von der protestantischen Auferstehungskirche liest aus dem Evangelium: „Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein.“ Horst Graebe vom Verein für christlich-islamische Begegnung Ruhr begrüßt die Gemeinde in geläufigem Türkisch und liest dann, auf deutsch, eine türkische Geschichte von sinnlos-tödlichem Bruderkampf. Dazu haben sie diesmal Emin Elibol eingeladen, einen Imam aus dem Altenessener Norden, der mit seinem glattrasierten, goldbebrillten Gesicht und dunklen Anzug wie ein katholischer Bistumssekretär aussieht. Nun aber trägt er die traditionelle Mütze, singt mit hoher nasaler Stimme auf arabisch und türkisch, dass es durch den hohen Kirchenraum schallt. Er beschließt den Gottesdienst mit der Sure „Fatiha“: “Rahman ve rahim olan Allah‘in adiyla“ – „Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes“. Auf türkisch endet sie mit „Amin“. Wie das Vaterunser.
Vielleicht vierzig Leute sind gekommen, nur eine Handvoll Muslime, und „nur zwei Muslime aus unserem Viertel“, wie Pater Christoph seufzend registriert. Es waren schon mal mehr Besucher. Verlässt sie nicht der Mut, da alle Welt sich über Multikulti amüsiert? „Ich fühl‘ mich von der Kritik überhaupt nicht betroffen“, sagt Horst Graebe, pensionierter Oberstudiendirektor und CDU-Mitglied. „Wir wollen Kontakte zwischen den Menschen herstellen, echte Integration betreiben, damit die Menschen nicht unter sich bleiben“, sagt Graebe; seit neun Jahren ist er Vorsitzender des christlich-islamischen Vereins. Auch Pfarrer Kreitz will weitermachen, trotz „Holland“: „Vielleicht sind wir ein bisschen naiv. Aber anders als in kleinen Schritten geht es ja nicht.“
Pater Christoph wirkt nachdenklich, als der Gottesdienst zu Ende ist: nur zwei Muslime aus seinem Viertel. Ob er da nicht doch an einem zu dicken Brett bohrt? „Nein“, sagt er, „und ich bin nicht geneigt, die Arbeit aufzugeben.“ Das Viertel rund um seine Franziskanerkirche ist weit weg von den Problemecken im Essener Norden. Es liegt auf der richtigen, der südlichen Seite der Eisenbahnlinie. Doch ist es durch die Autobahn abgeschnitten, ohne eigene Geschäfte, Treffpunkte. Das schlug auf die Bevölkerungsstruktur durch. Wohnungen blieben leer. Vor knapp zehn Jahren gab es viel Ärger mit libanesischen Asylbewerbern, die in einem Haus einquartiert worden waren. „Wir haben das damals klären können“, sagt Pater Christoph, „wir sahen, dass wir etwas bewegen können – und machten weiter.“
Der Pater gründete mit einigen Mitstreitern eine Bürgerinitiative, die sich um das Zusammenleben im Viertel bemüht. Zu den Libanesen gibt es längst ein positives Verhältnis; etwas zum libanesischen „Zedernverein“ Essen. Doch unter den Türken im Viertel, sagt der Pater, gebe es einige, „an die kommt man nicht ran.“ Was Urlauber aus der Türkei berichteten, von Offenheit, Freundlichkeit, „das finde ich hier manchmal nicht wieder“. So gab es Gerüchte von einer geplanten Moschee in leer stehenden Wohnungen, Pater Christoph suchte Kontakt – und war enttäuscht. Er möchte das nicht näher schildern, doch hatte die Begegnung wenig zu tun mit seiner Vorstellung von gegenseitigem Respekt. Aber aufgeben will er nicht, er freut sich über kleine Schritte: So hatte er nicht gewusst, dass viele muslimische Frauen fremden Männern nicht ohne weiteres die ausgestreckte Hand schütteln. Inzwischen kommen Türkinnen auf ihn zu, geben ihm die Hand.
Emin Elibol, der Imam, trägt wieder den weltlichen Zweireiher und trinkt Tee mit seinen Gastgebern. Zwischendurch klappt er sein Handy auf. Christlich-islamische Begegnungen sind für ihn nichts Neues. In seiner Moschee in Altenessen hat er häufig Deutsche, Nicht-Muslime zu Besuch – kürzlich eine Schülergruppe. Ob ihn andere Imame kritisierten? Elibol zählt zu den Hodschas, die von der türkischen Regierung nach Deutschland geschickt und auch bezahlt werden. Unter denen, so Elibol, habe er noch nie einen getroffen, der sich Kontakten mit Deutschen und Christen verweigere. Allerdings gebe es auch Hodschas aus anderen islamischen Ländern. Über die, so Elibol ausweichend-diplomatisch, könne er nichts sagen.
Von der Schnellschluss-Idee, in Moscheen künftig nur noch deutsch zu predigen, hält Elibol wenig – schon deshalb kein Wunder, weil er selbst nach gut zwei Jahren im Land noch kaum Deutsch spricht; aber auch Türken der ersten Einwanderer-Generation würden anspruchsvollere Texte auf Deutsch kaum verstehen können. Die Jugend – die könne man vielleicht auf diese Weise gut ansprechen, so Elibol. Aber die Mehrheit der Moscheegänger, sagt er, sei nun mal über 55.
„Haarsträubendes Unverständnis“ spreche aus solchen Vorschlägen, wirft Mehmet Bingöllü ein, spontan hatte er für den Imam übersetzt. Bingöllu ist seit 1980 Sozialarbeiter in Altenessen, hat im Ausländerbeirat gesessen und ist ein alter Hase in Sachen deutsch-türkisches Zusammenleben – oder dem „Nebeneinanderherleben“, wie er es bei Gelegenheit genannt hat. Die Moschee sei für Türken auch ein Stück Heimat – nicht der Ort, die deutsche Sprache zu forcieren. „Schließlich gibt es auch christliche Gottesdienste in der Muttersprache für Polen, Italiener, Spanier.“ Dabei hält Bingöllü viel vom Deutschlernen. Er kann sich richtig ereifern über Politiker, die immer nur negative Beispiele von Integrationsunwilligkeit zitieren, „und gleichzeitig muss ich hier jedes Jahr um Geld für Deutschkurse kämpfen – wie soll das zusammengehen?“
Bingöllü hätte es gut gefunden, wenn das Friedensgebet in der Franziskanerkirche etwas weniger zeitlos geblieben wäre: „Man hätte Holland, den Mord an van Gogh ruhig erwähnen können. Wir müssen diese schrecklichen Eiferer bloßstellen.“ Gegenseitige Toleranz reiche nicht, da gibt er dem Pater Christoph recht: „Wir müssen einander respektieren, und dafür müssen wir einander kennen lernen. Die Holländer waren tolerant. Aber auch gleichgültig.“
Elvia Khalil, zuvor las sie eine Fürbitte, fühlt sich ein wenig zwischen den Stühlen: „Mit den Deutschen habe ich die Religion gemeinsam, mit den Muslimen viele Traditionen.“ Die Libanesin lebt seit zwei Jahren in Essen und ist Sozialarbeiterin im „Büro für interkulturelle Arbeit“. Die Religion spiele schon eine wichtige Rolle bei Irritationen zwischen Deutschen und Immigranten. Aber: „Dass ich zum Beispiel Christin bin, heißt nicht, dass ich sofort in Deutschland heimisch gewesen wäre.“ Andererseits ist die 31-Jährige gerade in den Vorstand des libanesischen Zedernvereins Essen gewählt worden, in dem bisher nur muslimische Männer den Ton angaben. Für eine christliche Frau gleich zwei kleine Schritte nach vorn. Vor der Heilig Kreuz-Kirche wächst seit dem Frühjahr eine kleine Zeder; die Libanesen haben sie gepflanzt.