: Provinzielle Egozentrik
Der UNO geht es um Reformen, Rot-Grün aber um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat
AUS GENF ANDREAS ZUMACH
60 Seiten mit über 100 Empfehlungen zur Stärkung und Reform der UNO umfasst der Bericht. Morgen wird ein hochrangiges Expertengremium aus 16 Ländern, das High Panel, das Dokument zunächst Generalsekretär Kofi Annan in New York übergeben, am Donnerstag wird es veröffentlicht. Über ein Jahr lang haben sich ehemalige Regierungsmitglieder und UNO-Funktionäre (siehe Kasten) aus Nord und Süd in Annans Auftrag um einen Konsens bemüht über die wichtigsten globalen Herausforderungen und Bedrohungen: sozioökonomischen, sicherheitspolitischen und ökologischen. Denn deren Wahrnehmung klafft spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September zwischen Nord und Süd immer dramatischer auseinander. Unter Auswertung einer erheblichen Datenmenge machen die AutorInnen des Berichts den Versuch, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Herausforderungen zu beschreiben – etwa zwischen Armut, Menschenrechtsverletzungen, „gescheiterten Staaten“ und Terrorismus. Der Bericht enthält den Vorschlag für eine Terrorismusdefinition, auf die sich die UNO-Generalversammlung auch in siebenjährigen Verhandlungen nicht einigen konnte. Es gibt hochbrisante Kapitel zum Thema präemptiver und präventiver Militäreinsätze (siehe Text unten), zur „humanitären Intervention“ und schließlich sehr konkrete Vorschläge für neue Kapazitäten der UNO zur Friedensbildung.
Doch all das interessiert die rot-grüne Bundesregierung wenig. Seit zwei Wochen briefen das Berliner Auswärtige Amt sowie in New York UNO-Botschafter Gunter Pleuger und seine Diplomaten deutsche Journalisten in Hintergrundgesprächen ausschließlich zu den letzten der über 100 Artikel des Berichts. Die machen weniger als zehn Prozent des Gesamtumfangs aus und enthalten Empfehlungen für institutionelle Veränderungen, darunter Vorschläge zur Erweiterung des UNO-Sicherheitsrates. Doch die Bundesregierung verkauft den Medien diese Vorschläge als „Kernstück“ des Berichts und versucht, sie als Erfolg ihrer Politik darzustellen.
Dabei bleiben die Vorschläge deutlich hinter dem Ziel zurück, für das Pleuger, Außenminister Joschka Fischer und Bundeskanzler Gerhard Schröder in den letzten Monaten mit erheblichem Einsatz geworben haben: einem ständigen Ratssitz für Deutschland mit Vetorecht. Doch unter den 16 Mitgliedern des High Panel sprachen sich während der einjährigen Beratungen nur vier überhaupt für die Schaffung neuer ständiger Ratssitze mit Vetorecht aus. Das Panel konnte sich, wie die taz bereits im Oktober unter Berufung auf einen Entwurf für den Report berichtete, nicht einmal auf ein Modell für die Erweiterung des Sicherheitsrates einigen, auch nicht auf die namentliche Erwähnung Deutschlands oder anderer Länder, deren Status innerhalb der UNO künftig aufgewertet werden soll.
Das Panel stellt daher zwei Modelle zur Auswahl. Beide basieren auf einem Neuzuschnitt der bisherigen Regionalgruppen der Generalversammlung. Künftig soll es nur noch vier Regionalgruppen geben: Amerika, Europa, Asien und Afrika. Beide Modelle sehen eine Erweiterung des Rates von heute 15 um neun auf dann 24 Mitglieder vor. Dabei soll jede der vier neuen Regionalgruppen mit sechs Ländern vertreten sein soll. Das erste Modell sieht nicht einmal neue ständige Sitze vor. Stattdessen sollen neben den bisherigen fünf ständigen Sitzen mit Vetorecht (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien) acht geschaffen werden, je zwei pro Regionalgruppe, mit vierjähriger Präsenz im Sicherheitsrat und der Möglichkeit zur unmittelbaren Wiederwahl. Die übrigen elf Länder wären wie bisher zwei Jahre im Rat vertreten, ohne Möglichkeit der unmittelbaren Wiederwahl.
Im zweiten Modell sollen sechs der neun neuen Sitze auch ständige (ohne Vetorecht) sein. Davon werden je zwei für Asien und Afrika sowie je einer für Amerika und Europa reserviert. Die Bundesregierung ist sicher, dass der neue ständige Sitz für die Regionalgruppe Europa Deutschland zufällt. Das sehen Italien, Spanien und andere europäische Staaten aber anders. Ähnliches gilt für Amerika, wo sich Brasilien als sicherer Anwärter auf den einen neuen ständigen Sitz wähnt, aber auch Argentinien und Mexiko Ansprüche erheben. In Afrika gebe es für die zwei ständigen Sitze mit Südafrika, Ägypten und Nigeria drei Bewerber. Die Besetzung der beiden asiatischen Sitze mit Japan und Indien stieße auf Widerspruch in Pakistan, Indonesien sowie möglicherweise auch in China und Südkorea.
Die Art, wie die Bundesregierung den umfassenden Bericht zur Stärkung und Reform der UNO mit seinen vielfältigen Empfehlungen auf die Frage eines deutschen Sitzes im Sicherheitsrat verengt, stößt bei Mitgliedern des Panels wie auch im UNO-Generalsekretariat auf ärgerliches Kopfschütteln. „Diese eigensüchtige, provinzielle Nabelschau ist nun gerade keine gute Empfehlung für einen ständigen Ratssitz“, heißt es aus der Umgebung von Kofi Annan.