: Das Wissen der Opfer festhalten
Die Kölner Projektgruppe Belarus hat aus Interviews mit jüdischen Überlebenden des Minsker Ghettos ein Buch gemacht. Ein Zeitzeuge erzählt heute in der Alten Feuerwache seine Geschichte
VON SUSANNE GANNOTT
Als Felix Lipski mit seiner Mutter 1941 ins Minsker Ghetto kam, war er ein kleiner Junge. Seine Erinnerungen an diese Zeit hat der gebürtige Weißrusse der Kölner Projektgruppe Belarus erzählt, die sie zusammen mit weiteren Interviews von Überlebenden des Ghettos in Minsk in einem Buch veröffentlicht hat, das heute Abend in der Alten Feuerwache vorgestellt wird.
Die Idee, aus Gesprächen mit Zeitzeugen ein Buch zu machen, entstand 1998, als das Maximilian-Kolbe-Werk Versöhnungsreisen von ehemaligen Kinderhäftlingen, die in deutschen Konzentrationslagern inhaftiert waren, nach Deutschland organisierte. Der Kölner Jugendclub Courage schloss sich der Initiative an und lud die KZ-Überlebenden zu einer Begegnung mit deutschen Jugendlichen ein. Aus diesem Treffen entstand die Projektgruppe Belarus, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Wissen der Überlebenden festzuhalten. „Man findet einen anderen Zugang zu Geschichte, wenn man mit Zeitzeugen spricht beziehungsweise deren Stimmen lesen kann“, findet Adrian Stellmacher von der Projektgruppe.
Aus den Interviews mit den ehemaligen Kinderhäftlingen entstand so 1999 das erste Buch der Gruppe „Dann kam die deusche Macht – Weißrussische Kinderhäftlinge in deutschen Konzentrationslagern 1941-1945“.
Offenbar kamen die Reisen ins Land des ehemaligen Feindes aber auch bei den Besuchern aus Weißrussland gut an, denn schnell wurden sie zur jährlichen Einrichtung. „Schon bei der ersten Besuchsgruppe haben wir gemerkt, wie wichtig die Begegnungen zwischen den Opfern und Deutschen für beide Seiten sind“, meint Stellmacher. Für die Jugendlichen werde die Zeit des Nationalsozialismus damit direkt erfahrbar. Die Überlebenden kämen meist zum ersten Mal seit Kriegsende hierher und bewältigten durch die Konfrontation mit Deutschland und Deutschen ihre schreckliche Vergangenheit. In den Sommern 1999 bis 2001 kamen daher weitere Besucher nach Köln, jeweils rund 25 jüdische Überlebende des Minsker Ghettos. Aus den Interviews mit ihnen enstand das zweite Buch der Projektgruppe: „Existiert das Ghetto noch? Weißrussland: Jüdisches Überleben gegen nationalsozialistische Herrschaft“, das diesen Herbst im Verlag Assoziation A erschienen ist. Das Buch ergänzt die Erinnerungen der Opfer durch erklärende Artikel, etwa über die deutschen Täter oder das KZ Malyprostenez bei Minsk. „Auf diese Weise versuchen wir, uns der Vergangenheit von zwei Seiten zu nähern: Wir halten zum einen die ‚oral history‘ fest, also die Erinnerungen der Zeitzeugen, objektivieren aber gleichzeitig das Erzählte und ordnen es historisch ein“, sagt Stellmacher.
Bei allem wissenschaftlichen Anspruch soll die heutige Buchpräsentation bei den Zuschauern jedoch vor allem Gefühle wecken, erklärt Anne Klein, eine der Historikerinnen der Projektgruppe. Daher wolle man Auszüge aus den Interviews von den Schauspielern Ele Quast und Rainer Conrad vorlesen lassen. „Wir wollen keine trockene Veranstaltung machen, sondern eine richtige Inszenierung, die den Leuten unter die Haut geht. Die Idee ist, dass der Abend dadurch vielleicht auch zu einer Art Gedenken an die Opfer der NS-Zeit wird“, so Klein. Den „Gast des Abends“ dürfte dieser Gedanke besonders freuen: Felix Lipski, der heute als Arzt in Bochum lebt, wird von seinem Leben als Junge im Ghetto erzählen.
„Existiert das Ghetto noch?“ Heute in der Alten Feuerwache, 20 Uhr