■ Gesundheit scheint eine Ware zu sein
: Es gilt, die Perspektive zu ändern

betr.: „‚Die Bevölkerung muss ihr Verhalten ändern‘ sagt Meinhard Miegel“, taz vom 25. 11. 04

Experte Miegel bringt es auf den Punkt: Die Kosten selbst verschuldeter Krankheiten sollten künftig von den Patienten getragen werden. Und nennt als Beispiele: Nikotin-, Alkohol- und Drogensucht. Denkt er da nicht zu kurz? Was ist mit den Arbeitssüchtigen, die sich das Herz abschnüren, den Fress- und den Magersüchtigen auf der Schippe des Todes, was mit einst risikofreudigen Yuppies, wenn sie an Aids erkranken, wie ist es mit Motorradfahrern, die wegen ihres Hobbies im Rollstuhl enden? Tragen die nicht alle Verantwortung an ihren Krankheiten und den Kosten der erforderlichen Therapien?

Wird erst einmal mit hartem Besen gekehrt, kommen womöglich viele Krankheiten zusammen, die da von der Bevölkerung selbst zu finanzieren wären. Die „selbst verschuldeten Krankheiten“ werden seit Jahren immer mal wieder hoch und runter durch die Presse gejagt. Mit welcher Konsequenz bitte? Ratschläge wie diese sind so wohlfeil wie sinnlos. Der Gesundheitsminister, der bereit wäre, sich an solchen, letztlich unlösbaren Grenzziehungen zu versuchen, würde ruck, zuck! aus seinem Amte gejagt. Und das mit Recht.

STEFAN BAIER, Offenbach

Es ist eine Binsenweisheit, dass der Mensch das gerne tut, wofür er belohnt wird. Also gilt es, die Perspektive zu ändern: Nicht bestrafen mit immer höheren Beiträgen beispielsweise, sondern belohnen.

Dazu zwei Vorschläge: Einerseits sollten die Ärzte belohnt werden, die nachhaltig heilen. Sie sollten eben nicht für immer aufwändigere Untersuchungen bezahlt werden, die dazu verführen, den Patienten möglichst lange krank zu halten, um dadurch das eigene Einkommen zu steigern. Vielmehr sollten sie eine Prämie erhalten, wenn der Patient kostengünstig gesund wird. Andererseits sollte jeder, der es schafft, von November bis April 2005 ohne Inanspruchnahme der Kasse für einen grippalen Infekt durchzukommen, mit 100 Euro belohnt werden. Ratgeber zur Stärkung des eigenen Immunsystems sollten diese Aktion begleiten. Zu erwarten ist: Mehr Aufmerksamkeit auf die eigene Gesundheit, gesündere Menschen und Senkung der Kosten. ROSWITHA M. KANT, Taunusstein

Herr Miegel zeigt sich wieder mal von der zynischen Seite. Gesundheit scheint für ihn eine Ware zu sein. Er sitzt auf einem hohen Ross und bezeichnet die Menschen in seinem letzten Buch als „deformiert“. Und auch seine Behauptung, die Menschen (in Bezug auf die Montagsdemonstrationen) hätten eingesehen, dass „Reformen“ nötig sind, ist zu pauschal. Viele Menschen sind glücklicherweise immun gegen neoliberale Gehirnwäsche. UWE SAFIKA, Hückelhoven

Der gute Meinhard Miegel: Seit Jahr und Tag bläst er ins gleiche Horn und wiederholt mit griesgrämiger Miene den immergleichen Unsinn. Das Ganze gipfelt regelmäßig in der erschütternden Feststellung, dass „wir“ die letzten 30 Jahre über unsere Verhältnisse gelebt hätten (Wer ist eigentlich „wir“?). Jede einzelne seiner Behauptungen ist volkswirtschaftlich nicht haltbar und mittlerweile vielfach widerlegt. Miegel macht unverdrossen weiter mit seinem populistischen Gedröhne und mit ihm die gängigen PR-Fabriken wie „Bürgerkonvent“ (deren Chef Miegel ist), „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und andere. Bringt doch mal eine Serie, in der die wichtigsten dieser Vereine, ihre Geldgeber, ihre Taktiken und ihre Mitglieder vorgestellt werden! THORSTEN SAUTER, Düsseldorf

Wo sind eigentlich die Nachfragen bei dieser „Reformdebatte“ nach den Anbietern? Warum kümmert sich niemand um die Falschbegutachtung, Falschbehandlung, Erstellen von falschen Diagnosen zum Vorteil von Verursachern und Versicherungen, Mehrfachuntersuchung, Abrechnungsbetrug, überhöhte Arzneimittelpreise, Scheininovationen, Bestechung usw. in allen Bereichen der „aufstrebenden Gesundheitsindustrie“? Warum gibt es keine wirkliche Prävention? Das würde bedeuten, dass man sich endlich um die Ursachen und die Verhütung von Krankheit bemüht.

Warum werden denn die Anwohner, die im Bereich von ausgasenden Industriebetrieben, Verbrennungsanlagen und Deponien wohnen, nicht geschützt? Davon sind Millionen Menschen betroffen, die diesen Vorgängen hilflos ausgeliefert sind. Die davon zwangsläufig krank werden müssen und von keinem Arzt, von keiner Krankenkasse und von keiner Behörde unterstützt werden. Was ist mit den vielen Menschen, die durch ihren Arbeitsplatz krank gemacht werden. Die Berufsgenossenschaften verweigern dann die Zahlungen – die Geschädigten fallen den Krankenkassen anheim.

Was ist mit den vielen Tausenden, die durch die Verschiebung des Einsatzes von Rußfiltern elendig sterben werden, nachdem ihre Krebskrankheiten, die zu verhindern wären, mit hohen Kosten bis zum Tode behandelt werden. Was ist mit den vielen Operationen und anderen Behandlungen die nur durchgeführt werden, um die Anbieterseite zu forcieren? Warum werden Stoffe und Einwirkungen, die Menschen ausdrücklich schädigen, nicht einfach verboten – zum Schutz der Bevölkerung?

Aber man sieht die Antwort ja schon durch den Tanz um das goldene Kalb, der stattfindet, seit es in der EU Bestrebungen gibt, die sich ein klein wenig in die Richtung Chemikaliensicherheit bewegen. Sich also in Richtung Gesundheitsvorsorge bewegen. Welche gesundheitlichen Auswirkungen haben der ungezügelte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die Ausbringung von Klärschlamm? Wieso können deutsche Medikamente mit deutschsprachigen Beipackzetteln in anderen Ländern zu einem Bruchteil des deutschen Preises erworben werden? Warum werden Nebenwirkungen von Medikamenten so wenig beachtet, so wenig anerkannt und entschädigt?

Selbstverständlich ist jeder für die Erhaltung seiner Gesundheit selbst verantwortlich. Wenn die Möglichkeiten der Vorsorge in den Einflussbereich der Einzelnen fallen. Es wäre Aufgabe des Staates, den Einzelnen vor Dingen zu schützen, denen er sich nicht entziehen kann und die auf ihn einwirken. Dieser Verantwortung werden unsere Politiker in keinster Weise gerecht.

MONIKA RAUTH, Oppenweiler

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