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Archiv-Artikel

„Bei der Bundeswehr gibt es eine neue Form von Machtmissbrauch“, sagt Karin Gabbert

Die Misshandlung von Rekruten zeigt das unsichere Selbstbild der Bundeswehr. Und dass mehr Kontrolle Not tut

taz: Frau Gabbert, der vierte Fall von Misshandlungen in der Bundeswehr ist gerade bekannt geworden. Sind das trotzdem nur Einzelfälle?

Karin Gabbert: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt diese Erfahrungen schon immer. Laut einer – wenn auch nicht repräsentativen – Studie des Bundesfamilienministeriums ist jeder fünfte Mann bei seinem Wehrdienst gefesselt worden. In jedem Militär der Welt gibt es Machtmissbrauch und Misshandlungen. An den aktuellen Fällen zeigt sich jedoch, dass dies neue Formen annimmt.

Es wird brutaler?

Nein, aber diese Fälle zeigen, dass es ein neues Bewusstsein gibt: Der islamistische Terror wird als derartige Bedrohung wahrgenommen, dass er als neue Legitimation für Gewalt in der Bundeswehr dient – sowohl auf Seiten der Ausbilder als auch auf Seiten der Rekruten. Die Grenzen dessen, was man bereit ist zu tun und, bei den Rekruten, zu ertragen, werden dadurch aufgeweicht. Schließlich ging es bei einer der fraglichen Übungen konkret um eine Geiselnahme durch islamistische Terroristen.

Warum haben die Rekruten die Misshandlungen so lange verschwiegen?

Offenkundig deshalb, weil der islamistische Terror allgemein als etwas gilt, auf das man eben mit allen Mitteln reagieren muss. Im Kampf gegen den Terror werden ja auch bürgerliche Rechte eingeschränkt – dass die Rekruten diese Übung nicht für Machtmissbrauch, sondern für okay gehalten haben, spiegelt dieses Bewusstsein. Da sind Grenzen offensichtlich aufgeweicht.

Ist die Erklärung für die Misshandlungen nicht viel einfacher – ein archaischer Männlichkeitsbegriff?

Auch. Es hat sicher Gruppendruck gegeben. Die Rekruten wollten nicht als Schwächlinge dastehen. Außerdem wollten die meisten der Misshandelten Zeitsoldaten werden und hatten Angst, diesen Job zu verlieren. Aber der wichtigere Grund, warum sie so lange geschwiegen haben, ist: Sie haben geglaubt, dass es militärisch sinnvoll ist, die gespielte Geiselnahme durchzustehen.

Überschätzen Sie den Einfluss der Angst vor dem Terror auf diese Vorfälle nicht?

Nein, ich glaube nicht. Die Ursachen für die Misshandlungen liegen einerseits bestimmt in der undemokratischen Natur des Militärs – aber auch darin, dass die Bundeswehr Stimmungen und Ängste spiegelt, die es in der Gesellschaft gibt.

Manche erklären sich die Misshandlungen als Folge der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Kommen die Ausbilder tatsächlich als Rambos aus Afghanistan zurück?

Von dieser These halte ich überhaupt nichts. Es gibt doch so gut wie keine Kampfhandlungen, in die Bundeswehrsoldaten involviert sind. Die Soldaten kommen nicht brutalisiert, sondern viel eher desillusioniert aus dem Kosovo oder Bosnien wieder, weil sie merken, wie wenig sie erreicht haben. Wichtiger ist: Weil die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Kriegs keinen konkreten Feind mehr hat und ihre neue Aufgabe nicht klar definiert ist, bekommen diffuse Bedrohungen wie Terror oder organisierte Kriminalität geradezu sinnstiftende Bedeutung. Die Realität der Auslandseinsätze erzeugt in erster Linie Hilflosigkeit. Insofern haben die Auslandseinsätze mit diesen Vorfällen zu tun – aber sehr indirekt. Es geht eher um soldatische Bilder und Selbstbilder als um Erfahrungen. Denn für die Bundeswehr sind die Auslandseinsätze eine Aufwertung, aber auch ein Identitätsverlust.

Warum?

Weil die Bundeswehr dort vor allem polizeiähnliche und keine militärischen Aufgaben übernimmt. Dafür hat die Bundeswehr aber weder die Fähigkeit noch die Ausbildung noch passende Rollenbilder. Interessant ist, dass weder der alte „Staatsbürger in Uniform“ noch der Hightech-Kämpfer, der in den 90er Jahren als Modell des neuen Bundeswehrsoldaten galt, taugen, um die Anforderungen zu erfüllen, die sich im Kosovo und in Afghanistan stellen.

Ist der „Staatsbürger in Uniform“ nicht mehr zeitgemäß?

Doch – weil es ein Versuch ist, möglichst demokratische Strukturen im Inneren herzustellen. Aber das reicht eben angesichts der neuen Praxis der Auslandseinsätze nicht mehr aus.

Würde es in einer Berufsarmee weniger Misshandlungen geben?

Es gibt keine Armee ohne Misshandlungen. Und die Bundeswehr ist de facto auf dem Weg zur Berufsarmee. Die Wehrpflichtigen sollen in der Bundeswehr die Rolle einer Kontrollinstanz spielen – offenkundig reicht das an Kontrolle nicht. Deshalb zeigen diese vier Vorfälle vor allem, dass die Bundeswehr stärker von außen kontrolliert werden muss.

INTERVIEW: SASCHA TEGTMEIER