: Gleichheit und Gerechtigkeit
DAS SCHLAGLOCH von MICHAEL RUTSCHKY
Was man nicht reparieren kann, das ist auch nicht kaputt Alf, der Außerirdische
Das haben Sie gelesen, nicht wahr: Der so genannte Armutsbericht der Bundesregierung, der nächstes Jahr erscheint, meldet wieder einmal, dass in der Republik die Reichen reicher, die Armen ärmer geworden sind. 10 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über 47 Prozent des Vermögens; waren 1998 noch 12,1 Prozent arm nach EU-Kriterien, so sind es jetzt 13,5 Prozent. Am stärksten aber verlockte die Zahl 133.000 Euro. So viel besäße jeder Haushalt, ginge es strikt egalitär zu unter Rot-Grün.
Die hätte ich auch gern, die 133.000 Euro. Bloß fragt man sich gleich: was bedeutet die Summe? Die feste Einlage auf meinem Sparbuch? Oder mein Jahreseinkommen, mit dem ich auch die kommenden Jahre rechnen könnte? Ähnliche Fragen provozieren die „10 Prozent“, die „47 Prozent“ des „Vermögens“ besitzen – Sparbücher, die bescheidene Zinsen hecken? Aktienpakete, deren Wert je nach Börsenlage schwankt? Immobilien, die, wie es heißt, mehr kosten, als sie einbringen?
Zahlen scheinen zwar schwere Zeichen zu sein, unverrückbar und eindeutig, die Schrift, der Abdruck der Wirklichkeit selber. Aber bei näherem Zusehen werden sie vieldeutig und bedürfen der Auslegung wie andere Schriften auch. Bei diesen hermeneutischen Hilfsmaßnahmen lassen wir uns von unseren eingewöhnten Ideologemen leiten: Sie werden sich vermutlich empören wegen der eklatanten Ungerechtigkeit und Ungleichheit, die Rot-Grün zu mildern versäumt hat; während ich mich auf meine gemütliche Skepsis und Ironie zurückziehe: Liest man das nicht jedes Jahr, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander? Wann war sie denn mal geschlossen? Aha, das Bild passt überhaupt nicht.
Aber heute gehen wir mal etwas näher ran. Vor kurzem veranstaltete unsere gute alte SPD ihr jährliches Philosophiekolloquium. Politische Gleichheit war diesmal das Thema; der Hauptredner war Thomas M. Scanlon aus Harvard, der subtil die Bedingungen entwickelte, unter denen wir Ungleichheit als etwas Kaputtes, das repariert werden kann, definieren dürfen.
Merkwürdigerweise sind die Skandaleffekte, die krasse Ungleichheit auslöst, höchst unterschiedlich. Während Herr Ackermann mit seinen Einkünften und seinem Victory-Zeichen vor Gericht sofort in die Ikonografie des Antikapitalismus einging, regt sich über Eminems horrende Tantiemen niemand auf. Dasselbe gilt für Fußballergagen und die stupenden Summen, die berühmte Kunstwerke auf Auktionen erzielen. Niemand kommt auf die Idee, diese Gelder zu enteignen, um sie meinen (oder Ihren) 133.000 Euro zuzuführen; dies ist nichts Kaputtes, das repariert werden kann.
Irgendwie entsprechen die Einnahmen von Eminem und seinesgleichen den Regeln der Meritokratie – irgendwie haben sie das viele Geld „verdient“. Dagegen speist sich die Empörung über die Gehälter der Manager erstens daraus, dass sie keinen erkennbaren Leistungen entsprechen, im Gegenteil, die Firma ging ja pleite; vor allem aber zielt die Empörung auf die Prozedur: die Gruppe der Manager selbst legt ihre Gehälter fest, ein Fall von Selbstermächtigung – entsprechend bastelt zwecks Reparatur die Regierung an einem Gesetz, das den Aktionären Entscheidungsgewalt verschafft.
Vor allem bei Ostbürgern stößt man auf die Überzeugung, dass eine Wirtschaftsweise, die diesem oder jenem, aber nicht Ihnen oder mir ermöglicht, Millionär zu werden, in sich falsch und korrupt ist. Allenfalls wäre sie zu rechtfertigen, wenn sogleich eine höhere Instanz, der Staat eingriffe, die Millionäre enteignete, um ihnen sowie Ihnen und mir unsere 133.000 Euro zuzuteilen.
Die Probleme des praktischen Geldverdienens liegen außerhalb des allgemeinen Diskurses. Die meisten Leute sind, so sie Arbeit haben, Angestellte mit festem Monatseinkommen – die Debatten um Hartz IV liefen so, als wären im Grunde auch Arbeitslose Angestellte, die jetzt von einer ungerechten Minderung ihres Monatseinkommens bedroht seien; als käme der Staat gegenüber den Arbeitslosen seinen Pflichten als Arbeitgeber (der er ja nicht ist) nur unbefriedigend nach.
Die ökonomische Eigeninitiative, auf die der Kapitalismus so stark rechnet, beschränkt sich bei den Angestellten auf kluges Haushalten, weshalb die Parole „Geiz ist geil“ bei ihnen so einschlug. Der Freiberufler, der – in gewissem Umfang – sein Einkommen selbst bestimmen kann, beobachtet, wenn er Erfolg hat, bald mit Entsetzen, wie die Steuerprogression zugreift. Ich gestehe, dass ich nach ein paar fetten Jahren mit zweifelhafter Befriedigung feststellte, wie mein Einkommen und meine Steuerzahlungen wieder abnahmen. Das Finanzamt, dem man regelmäßig so viel voraus- respektive nachzuzahlen hat, will sich einfach nicht als heilige Stätte gesamtgesellschaftlicher Solidarität auffassen lassen. Keine noch so tiefe sozialdemokratische Gesinnung setzt dafür die Überzeugungskraft frei. Niemand vermag seinen Einkommensteuerbescheid stolz an die Wand zu hängen wie eine Leistungsurkunde: So viel habe ich für das Gemeinwohl getan.
Unheimlich wird es, wenn man – etwa aufgrund von Erbschaft – über eine größere Geldsumme verfügt. Das setzt ein brausendes Fantasieren frei, das einerseits Beraubungsängste, anderseits Größenideen stachelt. Vor allem aber entscheidet sich, ob man sich überhaupt für Geld als Arbeitsmaterie interessiert; ob man Lust hat, in die entsprechenden Operationen einzusteigen, Operationen, an denen man dann dauerhaft teilnehmen muss, sonst lohnt es sich nicht; Sie müssen den Geschäftsmann in sich entdecken, der den Profitmechanismus umsichtig zu nutzen weiß. Das unterscheidet sich fundamental vom klugen Haushalten, dem Warten auf den Monatsersten, worauf die Angestelltenexistenz ökonomisch beschränkt bleibt. Wer den Profitmechanismus abschaffen will, damit wir alle wie die Angestellten mit festem Monatseinkommen (133.000 pro Jahr) leben, würde wohl alles kaputtmachen. Auch insofern sollten Sie der NPD, die die Wirtschaft (wieder) der Politik und ihren Vorgaben unterwerfen will, misstrauen.
Aber wahrscheinlich wollen Sie gar nicht den Geschäftsmann, sondern viel lieber den Künstler in sich entdecken. Es hat mich, wie ich gestehen muss, immer geschmerzt, dass ich nicht zeichnen kann – auch gar keine Talentresiduen in mir entdeckte, mittels deren ich es hätte lernen können. Von einer vorhandenen musikalischen Begabung dagegen machte ich ohne Bedauern keinen Gebrauch.
Keine Instanz kann hier Gleichheit herstellen, Ungerechtigkeit ausgleichen. Wir betreten ein morastiges Feld, das der moralisch folgenreichen Gefühle. Neid und Missgunst gehören dazu (die man bei Gerechtigkeitsdebatten gern schamhaft ausklammert: es handelt sich nicht um Gefühle, auf die man stolz sein kann). Aber, worauf vor allem die englischen Moralphilosophen immer insistiert haben, ebenso Sympathie, Mitleid und Wohlwollen.