: Ein Abtritt als Auftritt
Der TV-Zyniker Harald Schmidt tritt ab, macht sich über die angeblich drohende Arbeitslosigkeit seiner Mitarbeiter lustig – und erklärt damit einmal mehr den Unterschied zwischen Zynismus und Zynismus
von ARNO FRANK
Ist denn nicht bald mal wieder gut mit dem Thema Schmidt? Ist denn die Wunde seiner Demission inzwischen nicht genug geleckt oder, je nach Standpunkt, ausreichend mit Salz bestreut worden? Gleich griechischen Klageweibern üben sich derzeit die Feuilletonisten in Kondolenz. Dabei wäre der Endspurt der „Harald Schmidt Show“ eher ein Fall für Experten in Sachen Inlands- oder Sozialpolitik. Denn was, so fragte am Mittwoch bang die Bild-Zeitung, wird eigentlich aus seinen Mitarbeitern?
Als er am 30. Juni 2003 in die 5-Tage-Woche ging, da begründete Schmidt diesen Schritt mit seiner „Liebe zu Deutschland“ und zum Bruttosozialprodukt. Als er nun seinen Mitarbeitern das Ende der Show eröffnete, ging’s sofort um Auflösungsverträge für die etwa 100 Angestellten der Produktionsfirma Bonito.
Dass die Firma weiter bestehen und unter anderem Sendungen wie „Was guckst du?“ mit Kaya Yanar produzieren wird, spielt dabei kaum eine Rolle. Die klassische Situation der betriebsbedingten Kündigung ist ein gefundenes Fressen – nicht nur für den scheinheiligen Boulevard, sondern auch für Sankt Schmidt selber. In der Show am Dienstagabend irrte er denn auch durch die Flure des Studios, um in einem entlegenen Winkel in die „Manuel Andrack Show“ zu platzen. Die Französin Nathalie eilte mit gepackten Koffern an ihm vorbei. Draußen auf dem Parkplatz telefonierte er später, lässig am Jaguar lehnend, per Handy einen BMW herbei, um seine Mitarbeiter zum Arbeitsamt zu schicken – sie hatten vorher ihre Hände an einer brennenden Mülltonne wärmen dürfen.
So lässt sich seine Kardinaltugend, der Zynismus, gegenwärtig wie unter einem Brennglas beobachten. Wer Zynismus ganz klassisch als „herausfordernd verächtliches Verhalten gegenüber geltenden Moralnormen“ definiert, der kommt hier auf seine Kosten: Arbeitslosigkeit ist nur dann lustig, wenn man sie sich leisten kann. Schmidt kann. Und auch seine Mitarbeiter werden wohl kaum „verzweifelt auf ein TV-Comeback ihres Noch-Chefs“ warten müssen (Bild).
Die theatralische – weil auf groteske Weise überhöht zynische – Inszenierung der Kündigungswelle spiegelt dagegen in bester satirischer Tradition nur den ganz realen Zynismus jener, die nun öffentlich Krokodilstränen vergießen über das Schicksal von Andrack, Zerlett & Co. Und damit nebenbei ganz ordinären Neid auf einen Moderator schüren, der angeblich 40.000 Euro pro Sendung kassiert hat.
„Wer den Zynismus nicht sieht, wenn unsere Presse zwischen Sektreklamen von Folterungen in Südamerika berichtet, der wird ihn auch in der Theorie vom Mehrwert nicht wahrnehmen, selbst wenn er sie hundertmal gelesen hätte“, sagte einmal der glücklose Teilzeitmoderator Peter Sloterdijk.
Wo wir beim Mehrwert sind: Die zweite Ausgabe der „Harald Schmidt Show“ nach der Ankündigung ihres Auslaufens zum Jahresende sahen 1,79 Millionen Menschen. Gut doppelt so viele wie sonst. Und die Verantwortlichen bei Sat.1 verzichten auf den Mercedes-Stern ihres Senders – sie werden noch früh genug merken, dass sie eigentlich in einem Hyundai sitzen.