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Archiv-Artikel

Wahl mit europäischer Dimension

Am Sonntag wählen die türkischen Zyprioten ein neues Parlament. Allen Tricks der Regierenden zum Trotz hofft die Opposition Präsident Rauf Denktasch loszuwerden

NIKOSIA taz ■ Haushohe türkische Fahnen und Porträts des amtierenden Premiers Eroglus hängen von den Dächern in der Altstadt Nikosias. Die Hauptstadt des türkisch besetzten Nordteils von Zypern wählt am Sonntag ein neues Parlament. Und weil der Urnengang nicht nur die weitere Entwicklung auf der Insel beeinflusst, sondern auch das Verhältnis zwischen der Türkei und der Europäischen Union, entscheiden ganze 140.832 Wahlberechtigte über eine wichtige Dimension der Zukunft Europas.

Ein „Fenster der Gelegenheit“ hat EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen die Wahl genannt. Denn erstmals seit Gründung der international isolierten „Türkischen Republik Nordzypern“ vor mehr als 20 Jahren glaubt die vereinte Opposition eine Chance zu besitzen, ihren 79-jährigen Führer Rauf Denktasch loszuwerden. Denktaschs Gegner sind entschlossen, Verhandlungen über die Gründung eines gemeinsamen Bundesstaats mit den griechischen Zyprioten aufzunehmen. Denktasch, so ihr Plan, soll zwar Präsident bleiben, aber seine Funktion als Verhandlungsführer der Zyperntürken verlieren. Dann könnten sich die Zyperntürken gerade noch rechtzeitig der schon versprochenen EU-Mitgliedschaft ihrer griechischen Inselnachbarn anschließen, die zum 1. Mai 2004 in Kraft tritt. Und dann wäre ein wesentlicher Faktor beseitigt, der bisher einer Aufnahme von Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft der Türkei entgegensteht.

So geht es für die bisher Regierenden in Nordnikosia um alles oder nichts, und sie handeln entsprechend. Die Opposition beklagt, dass im Vorfeld der Wahlen tausende konservative Türken vom Festland im Schnellverfahren die Staatsangehörigkeit Nordzyperns erhalten haben – Futter für Denktasch an den Wahlurnen. „Extrem undemokratisch“ nennt deshalb Özdil Talat Nami den Urnengang. Der Koordinator der Bürgerinitiative „Das Land gehört uns“ sorgte zu Beginn des Jahres dafür, dass zehntausende Zyperntürken gegen Denktasch auf die Straße gingen.

Mustafa Akinci von der linken „Friedens- und Demokratiebewegung“ berichtet: Allein am 24. September sei die Wählerschar durch einen Federstrich um 1.563 Personen erhöht worden, obwohl die Regierung behaupte, nur 99 Neuwähler seien registriert worden. Fest steht, dass sich die Zahl der Wahlberechtigen seit den letzten Parlamentswahlen vor fünf Jahren um fast 17 Prozent erhöht hat. Mit einer hohen Geburtenrate ist das wohl kaum zu erklären.

Diese Art der Wählerfindung hat in Nordzypern Tradition. Seit der Teilung der Insel 1974 sind rund 100.000 Festlandtürken immigriert, auch um die von geflüchteten Inselgriechen entleerten Dörfer und Städte wieder aufzufüllen. Umgekehrt verließen zehntausende aus der angestammten Bevölkerung aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat Richtung Europa. So dürfte die Zahl der anatolischen Immigranten die der türkischen Zyprioten längst übersteigen. Genaue Zahlen sind freilich nicht erhältlich.

Die Regierenden um Denktasch setzen mit ihren türkischen Fahnen auf die türkische Nation – und auf die Angst vor den Griechen: Da ist in einem doppelseitigen Zeitungsinserat das Parlament Nordzyperns zu sehen, so wie es heute dasteht. Daneben kann man dasselbe Gebäude noch einmal sehen – mit griechischen Fahnen behängt. „Die Regierenden versprechen rein gar nichts“, meint Mehmet Asli Talat. „Sie wollen nur den Status quo beibehalten: Ihr Königreich, ihre Korruption, ihre eigenen Interessen.“ Der Bürgerrechtler Nami wirft Denktasch vor, die Grundsteuern für Hausbesitzer in seine Wahlkampftaschen geleitet zu haben.

Die Opposition schätzt ihre Stärke auf 60 bis 65 Prozent der Wähler. Sollte sie die Wahlen trotz aller Manipulationsversuche gewinnen, werden nicht nur im Norden Zyperns die Karten neu gemischt. Galt bisher der verhandlungsunwillige Denktasch als das Problem der Insel, könnte künftig diese Rolle dem Präsidenten der Zyperngriechen zufallen, Tassos Papadopoulos. Denn Papadopoulos lehnt den UN-Friedensplan für die Insel – der zwei autonome Bundesstaaten in einem geeinten Zypern vorsieht – zwar nicht wie Denktasch rundweg ab. Aber er verlangt Veränderungen.

KLAUS HILLENBRAND