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Archiv-Artikel

Sorge und Recht

Geltendes Recht: Wenn ein Kind in eine Ehe geboren wird, haben beide Eltern automatisch das gemeinsame Sorgerecht. Im Falle einer Scheidung bleibt dieses bestehen, sofern ein Elternteil nicht einen Antrag auf Alleinsorge stellt. Wird ein Kind unehelich geboren, so muss ein gemeinsames Sorgerecht erst beantragt werden. Passiert dies nicht, verbleibt das Sorgerecht in der Regel bei der Mutter.

Sorgerechtsreform: Die Reform des Kindschaftsrechts von 1998 stärkte vor allem das Modell des gemeinsamen Sorgerechts. Vor 1998 konnten Unverheiratete überhaupt kein gemeinsames Sorgerecht ausüben. Auch nach einer Scheidung konnte nur ein Elternteil die Sorge ausüben. Kinder erhielten mit der Reform ein Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen. Nach einer Trennung hat der nicht betreuende Elternteil ein Besuchsrecht. Dieses ist in der Praxis allerdings schwer durchsetzbar: Väterverbände klagen, dass betreuende Mütter den regelmäßigen Kontakt zu einfach unterlaufen könnten – zu den Sanktionsmitteln Zwangsgeld oder Zwangshaft für den Elternteil, der das Besuchsrecht verweigert, greifen deutsche Gerichte nicht – im Gegensatz zu ihren Kollegen aus Nordamerika.

Proksch-Studie: Im Auftrag des Justizministeriums hat Roland Proksch, Leiter des Instituts für Soziale und Kulturelle Arbeit in Nürnberg, von 1998 bis 2002 eine Evaluierungsstudie des neuen Rechts durchgeführt. Diese ergab, dass das gemeinsame Sorgerecht bei geschiedenen Eltern insgesamt konfliktentschärfend wirkt. Sowohl die Zahlungsmoral als auch die Kontakthäufigkeit des Nichtbetreuenden zum Kind wird gesteigert.

Im Gegensatz dazu: Laut Studie haben über vierzig Prozent der Mütter und Väter ohne elterliche Sorge nur selten Kontakt zu ihren Kindern. Bei rund einem Viertel der nicht Sorgeberechtigten ist der Kontakt zu den Kindern nach der Trennung ganz abgebrochen. Solche Kontaktabbrüche sind für die Kinder potenziell traumatische Erfahrungen: Schlafstörungen, Depressionen, Schwierigkeiten in der Schule, aggressives Verhalten bei Jungen und frühreifes Verhalten bei Mädchen sowie eine allgemein höhere Suchtgefährdung können die Folge sein. Auch für die betroffenen Eltern- und Großelternteile besteht ein erhöhtes Risiko für einen Arbeitsplatzverlust, Depressionen und körperliche Beschwerden. Kontaktabbrüche von Eltern und Kindern nehmen jährlich um rund zehn Prozent zu.

Zahlen: Vor 1998 wurde in rund achtzig Prozent der Fälle von einem Elternteil das alleinige Sorgerecht ausgeübt. Im Jahr 2002 hatten hingegen schon 75 Prozent der Eltern das gemeinsame Sorgerecht. Nach wie vor sind Alleinerziehende mit einem Anteil von 81 Prozent in erster Linie Mütter, obwohl bei den allein erziehenden Vätern in den letzten zehn Jahren ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen ist. Laut Statistischem Bundesamt wurden im vergangenen Jahr 204.200 Ehen geschieden, 160.095 Kinder waren davon betroffen – so viele wie noch nie zuvor. Jede fünfte Familie in Deutschland ist eine Ein-Eltern-Familie. Insgesamt ist ihre Zahl seit 1993 um 570.000 Fälle auf 2,14 Millionen angestiegen.

Internetadressen: www.vafk.de (Väteraufbruch für Kinder), www.vamf.de (Verband alleinerziehender Mütter und Väter), www.vaeterfuerkinder.de, www.alleinerziehend.de.  ANITA BLASBERG