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Archiv-Artikel

Maschendrahtzaun, Teil zwei

Vor Gericht: Eine hochemotionale Story mit nackten Hintern, Herzblut und jahrelangem Geschmerze

HANNOVER taz ■ Russen, Luder, Bohlen, Sex – es gibt Worte, auf die die Journaille anspringt wie die Maus auf ein Stück jungfräulichen Gouda. Am besten ist fast „Bohlen hat Sex mit Russen-Luder“ – oder aber „Maschendrahtzaun“. Das war der 800.000 mal verkaufte Song von Stefan Raab aus dem Jahr 1999, der recht eindringlich den Streit von Regina Zindler aus dem Voigtland mit ihrem Nachbarn schildert. Fast vergessen ist heute, dass Zaunkönigin Zindler ja auch noch selbst mit einem eigenen Lied die Charts anpeilte – und trotz Sächselns kläglich scheiterte. Klar, dass gestern jede Menge Kollegen im Landgericht Hannover versammelt waren, auch wenn der Knallerbsenstrauch diesmal fehlte.

„Das ist doch alles Kicki!“, sagte Rechtsanwalt Walter Daps gleich zu Beginn – und meinte wohl sowas wie Pipifax. Er irrte. Die Story ist emotional hoch aufgeladen: nackte Hintern, Herzblut und jahrelanges Geschmerze. „Da geht der Streithahn!“, rief Siegfried Bruch, 63 und Rentner, seinem Zaun-Kontrahenten Claus Roggemann, 41 und Versicherungsvertreter, hinterher, als sich beide eigentlich längst geeinigt hatten. Bruchs Frau war immer noch völlig fertig: „Ich bin völlig fertig.“

Seit 1938 hatte ein Maschendrahtzaun – 52 Meter lang, 1,25 Meter hoch – die beiden Grundstücke in Isernhagen gütlich getrennt, seit über 40 Jahren waren die Bruchs und die Roggemanns Nachbarn. „Wir haben zusammen gefeiert“, sagt Roggemann.

Bis er vergangenes Jahr auf die Idee kam, den schon morschen Zaun abzureißen. Beweisstücke hatte er zwar ins Gericht mitgebracht. Aber: der Abriss war nicht mit den Dapsens abgesprochen. Au weia!

Nach ewigem Streit und Schlichtungen griff Daps schließlich zu seinem äußersten Mittel: Er stellte einen Gartenzwerg in Richtung des roggemannschen Grundstückes auf. Knackpunkt: der Zwerg zeigte mit entblößtem Gesäß gen Nachbarhaus.

Das ließ sich Roggemann nicht bieten. Und machte ernst: Laut Kostenvoranschlag kostet ein neuer Zaun nämlich über 14.000 Euro. Und die wollte der Roggemann nun von den Dapsens haben, weil die laut Gesetz dafür zuständig sind, einen Zaun auf der Grundstücksgrenze zu unterhalten.

Als die Klage ins Haus flatterte, wurde Daps offensichtlich bange. Jetzt setzte er neue Zaunpfähle – sogar zwanzig Zentimeter innerhalb des eigenen Grundstücks – die er mit Schilfmatten verkleidete. Gefielen Roggemann nicht. Er wollte 14.000 Euro.

„Wenn jetzt an die Pfähle wieder Maschendrahtzaun kommt, wäre die Kuh doch vom Eis“, meinte Richterin Ute Weißenborn. Daps bockig: „Ich verschenke von meinem Grundstück nicht einen Zentimeter!“ „Wollen wir weiter Krieg führen?“, sagte die Richterin. Und: „Irgendwann enden Sie bei RTL oder SAT.1“.

Erst nach großem Appellieren einigten sich die beiden, einen neuen Maschendrahtzaun an alter Stelle zu setzen und die Kosten zu teilen. Die Richterin: „Nehmen Sie’s als Chance für einen Neuanfang.“ Darauf Zwergaufsteller Daps: „Wenn wieder Krach ist, ruf’ ich Sie an.“Kai Schöneberg