: In der Emotionskammer
Die Verbindung von Technikzauber, Selbsterfahrung und Entertainment in Zeiten gesellschaftlicher Depression: Die Ausstellung „Lautloses Irren, ways of worldmaking, too …“ im Berliner Postbahnhof
von PAMELA JAHN
Im Osten geht die Sonne auf. Das war schon immer so. Gleichwohl ändert das nichts an der Tatsache, dass es hier auch wieder recht schnell duster werden kann – „zappenduster“, wie man im Osten früher zu sagen pflegte und es noch heute gern tut.
Im ehemaligen Postbahnhof am Ostbahnhof ist es so finster, dass es nicht wirklich lohnt, den grundsätzlich erwerbenswerten Katalog mit ausgiebigem Textteil gleich vor dem Rundgang durch die Ausstellung zu kaufen. Gezeigt werden hier derzeit die Arbeiten von insgesamt 27 internationalen Künstlern, Arbeiten, die das Inventar einer großen, dunklen Emotionskammer bilden, zu der Kurator Harm Lux das bisher in geruhsamer Gelassenheit vor sich hin vegetierende, leer stehende Gebäude umfunktioniert hat.
„Lautloses Irren, ways of worldmaking, too …“ ist der Titel der ungewöhnlichen Gruppenschau, in der man Lux durchaus die zentrale Rolle zusprechen darf. Denn ihr auffälligstes Merkmal ist die Inszenierung der Exponate: Vor allem im ersten Teil der insgesamt auf drei Bereiche verteilten Schau kommunizieren die Arbeiten kreuz und quer durch- und miteinander auf der Suche nach einer Verbindung von Technikzauber, Selbsterfahrung und Entertainment in Zeiten gesamtgesellschaftlicher Depression.
Dabei sind die künstlerischen Herangehensweisen, die Lux hier zusammengetragen hat, eher heterogen. Das stiftet schon eingangs einige Verwirrung in einem Tunnel aus Seide, auf dessen zart besaiteter Oberfläche zwei kleine Filme von Gregg Smith laufen. Während der eine den Künstler selbst im Handgemenge mit einem Bettler und Streit suchenden Passanten auf offener Straße zeigt, wird der Betrachter im zweiten Teil Zeuge eines klassischen missratenen Annäherungsversuchs von Mann und Frau im Café. Dass es sich hier weitgehend um eine einfühlsame Therapie gegen das Scheitern zwischenmenschlicher Beziehungen handeln soll, erkennt man zwar nicht nur daran, dass der kleinste Windstoß das Filmbild auf der wabbeligen Satinwand verschwimmen lässt. Trotzdem gibt das dem Ganzen einen hübsch destruktiven Beigeschmack.
Sowieso gilt es spätestens in dem Moment jede Hoffnung fahren zu lassen, in dem man die eigentliche Dunkelkammer betritt: Unweigerlich wird man in das Labyrinth der Bilderwelt gezerrt, in der Realzeit und Raum zugunsten eines Simultaneums aller Sinneseindrücke aufgelöst scheinen. Entscheidet man sich angesichts der diffusen Situation einfach für die Flucht nach vorn, fällt man unmittelbar in ein neues System, das zwar aus Boulevards und Häuserschluchten besteht, aber deshalb auf den ersten Blick nicht weniger bedrohlich wirkt. Für seine Arbeit „Vider Paris“ hat der Franzose Nicolas Moulin die Straßen der lebendigen Metropole gefilmt und anschließend jegliche Form von Leben aus den Bildern eliminiert. Die menschenleere Großstadtsinfonie wird somit zu einem Spiel, an der der forschende Betrachter Spaß haben bzw. scheitern kann – oder von dem er, je nach Stimmungslage, schnell gelangweilt ist.
Tatsächlich fallen beim Rundgang vor allem jene Videoarbeiten auf, die sich durch eine äußerst konventionelle Form auszeichnen: Sie haben Anfang und Ende, auch wenn man Letzteres – wie im Fall von Clemens von Wedemeyers achtminütiger Statistenverarsche „Occupation“ – bei aller Begeisterung fürs Werk angesichts der schwer zu beheizenden Räumlichkeiten leider kaum erwarten kann; sie haben einen Plot, auch wenn dieser – wie im Fall von Euan Macdonalds eigenwilliger Feldstudie „Mysterioso“ von der an- und abstoßenden Beziehung zweier Billiardkugeln handelt; und sie zeigen eine Entwicklung, auch wenn diese, wie im Fall von Aernout Miks Börsenkrachszenario „Middlemen“, aus heutiger Sicht mehr als die bloße Variation eines bildimmanenten Kommentars auf die Paradoxien gewollter Abhängigkeiten von einem System aus Zahlen und Spekulationen ist, sondern eine unheilvolle Prophezeiung: Niedergeschmettert hocken der Börsianer und sein Roboterklon inmitten des Papierchaos, während andere Kollegen um sie herum noch vergeblich die gewohnte Hektik aufrechtzuerhalten versuchen, wo doch das Ende hier offensichtlich schon längst vorbei ist. Was im Frühsommer 2001 als Realsatire auf die New Economy entstand, wirkt heute wie ein krasser Schlag ins Genick, von dem man sich beim Gang durch die weiteren Stationen der Ausstellung dann auch nur schwerlich erholt.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Impressionen und Anregungen, die es anschließend in den mitunter dekorativen Arbeiten wie der Kleiderlandschaft von Nada Sebestyén oder dem beeindruckenden Filmepos von CineNomad zu entdecken gibt, nicht so recht einfügen wollen in den zuvor erlebte Bilderschock und die von Lux initiierte Zustandsbeschreibung des Individuums am Ende der „Spektakelgesellschaft“. Bevor sich allerdings realer Missmut über die konzeptionellen Makel der Ausstellung breit machen kann, besinnt sich der Kritiker auf die Ästhetik des Augenblicks, einem diffusen Jetzt, dass sich insbesondere in der zeitgenössischen Fotografie und Videokunst durchgesetzt hat. Tatsächlich scheint ein gewisses Unvermögen in der Wahrnehmung des Alltags mit den Bildern zu korrespondieren, die sich die Kunst von diesem Alltag macht. Alle Verdichtung ist nur mehr Form: eine unendliche Ansammlung von momenthaft aufgeschnappten Details, die in der nächsten Sekunde schon ganz andere sein könnten.
Das Moment der vorhandenen, aber doch nicht fassbaren Wirklichkeit zieht schließlich in einem der leisesten Werke die Aufmerksamkeit auf sich. Pipilotti Rist hat durchsichtige Plastikverpackungen mit Angelsehne an einen Ast gehängt, der gemächlich schräg vor einer Videoprojektion baumelt. Über die Leinwand hinaus, auf der eine Kamera aus Vogelperspektive um die schöne bunte Welt saust, irritieren die bezaubernden, aber nicht identifizierbaren Schattenbilder. Nur ganz selten gelingt es, das vermeintlich projizierende Objekt ausfindig zu machen. Und doch: Bevor sich absolute Gewissheit einstellt, ist der Lichtpunkt längst verschwunden – nur das beunruhigende Gefühl, einem Irrtum erlegen zu sein, begleitet den Betrachter auf dem Weg aus der Emotionskammer hinaus zurück ans Tageslicht.
Bis zum 2. Februar, Berlin, Postbahnhof am Ostbahnhof, Katalog 10 €