: „Geschichtsschreibung vermeiden“
Anfang der 90er Jahre waren die Kunst-Werke Motor der Gentrification in Mitte. Darüber schweigt die aktuelle Schau. Kurator Axel John Wieder verteidigt das Konzept. Schließlich sei die Ausstellung nur zu Gast in den Kunst-Werken
taz: Herr Wieder, wie ist es zur Ausstellung „Jetzt und zehn Jahre davor“ gekommen?
Axel John Wieder: Die Ausgangsidee entstand vor zwei Jahren, als ich das Projekt von Dillemuth und Strau in New York 1992 noch mal gesehen habe. Aus zehn Jahren Abstand schaut man anders auf Dinge. Ästhetiken, die damals peinlich wirkten, finden sich plötzlich im Mainstream wieder. Auch die Arbeiten zum Thema Gentrification.
Zum Beispiel?
Anfang der 80er Jahre gab es einen Graffiti-Hype. 1993 war das eher uncool geworden. Das war die Zeit des Neokonzeptionalismus, alles war kühl und klar. Mit zehn Jahren Distanz stellen wir fest, dass sich auch der Blick auf diese Dinge verändert hat.
Das heißt, man kann heute, wo es diese großen politischen Auseinandersetzungen nicht mehr gibt, auch eine versöhnliche Ausstellung zum Thema Gentrification machen.
Wieso versöhnlich? Gentrification war ja häufig ein Anlass für die Beteiligten, sich mit den Folgen wie Verdrängung und Kommerzialisierung auseinander zu setzen. In der Geschichte des East Village wird deutlich, was für eine Vielzahl von politischen Praxen daraus erwachsen ist – von kühler konzeptueller Kunstkritik bei Louise Lawler, einer euphorisch-sentimentalen Inszenierung der eigenen Anti-Mainstream-Lebensverhältnisse wie bei Mark Morrisroe bis zu expliziten Politaktionen wie die Real-Estate-Show von Colab oder wie anonyme Poster, die in der Lower East Side plakatiert wurden. Das sind Projekte und künstlerische Arbeiten, die ich nicht nur im Verhältnis zu Gentrification großartig finde.
Gerade wenn es solche großartigen Arbeiten gibt, hätte man doch etwas selbstbewusster und selbstkritischer auch die Rolle der Kunst-Werke bei der Gentrification in Berlin thematisieren können. Schließlich hat alles einmal mit den „37 Räumen“ in der Auguststraße angefangen.
Das ist immer noch der Ansatzpunkt des Projektes. Es ist uns im Zuge der Vorbereitungen allerdings immer weniger sinnvoll erschienen, auf diese Weise eine Geschichte von Berlin-Mitte zu schreiben. Einerseits sind wir ja noch mitten in der Debatte, wie man auch an der gerade stattfindenden Umstrukturierung der Kunst-Werke sehen kann. Eine eindeutige abschließende Geschichtsschreibung wollten wir also vermeiden. Wir haben uns deshalb entschlossen, das Thema eher über Umwege anzugehen – über kritische Projekte am Rand der Gentrifizierung, über das East Village, über selbstorganisierte Räume in anderen Städten, über Metallskulpturen als ein verdrängtes frühes Motiv der 90er Jahre, das in den Ort KW, der es einst verdrängt hat, geholt wird.
Das sind in der Tat Umwege.
Die Ausstellung wurde nicht von den Kunst-Werken initiiert, sondern ist ein Hauptstadtkulturfonds-Projekt. Die geforderte Selbstkritik muss die Institution schon selber leisten.
Woher der plötzliche Hinweis auf die Nichtzuständigkeit? Waren es nicht gerade auch Künstler, die einmal mit dem Knetgummifilm „Tötet Biesenbach“ den damaligen Leiter der Kunst-Werke aufs Korn nahmen? Die Kunst-Werke sind ja nicht die unumstrittene Institution gewesen, als die sie jetzt gezeigt werden.
Ich glaube nicht, dass es richtig – und nach einem Jahrzehnt immer noch das einzig mögliche Mittel – wäre, eine politische Debatte so personalisiert zu führen.
Ist auch der Blick auf die Kunst-Werke selbst heute ein anderer?
Es gab in den vergangenen Jahren einen Normalisierungsprozess, der mir persönlich eher unheimlich ist. Am Anfang der Kunst-Werke stand eine Phase heftiger politischer Auseinandersetzung. Danach folgte die Phase der Alleinherrschaft von Klaus Biesenbach. Nun haben wir seit einigen Jahren die Normalisierung. Weil es wenig vergleichbare Kunstinsitutionen in Berlin gibt, haben sich viele mit dem Ort abgefunden. Wohin die Kunst-Werke mit dem Weggang von Biesenbach nach New York steuern, wird sich zeigen.
INTERVIEW: UWE RADA