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Archiv-Artikel

o schönheit der nichtintegration von WIGLAF DROSTE

Immer im November kommen die Deutschen auf ihre Ideen; eine richtig gute war seit 1919 nicht mehr dabei. Die kollektive Zwangsvorstellung im Herbst 2004 heißt Integration der Parallelgesellschaften. Das klingt so aufgedonnert wie kein bisschen neu: Nichtdeutsche Insassen des Landes bekommen in amtlichem Ton mitgeteilt, dass sie nun aber hurtig Sprache, Sitten und Gebräuche des Landes zu erlernen und zu praktizieren hätten. Die Parallelgesellschaften, in denen sie mürrisch und integrationsunwillig herumhockten, würden geschlossen – erst dann könnten ihre deutschen Gastgeber angstfrei weiterschlafen und zu ihrer traditionell übermenschlichen Toleranz zurückfinden.

Was heißt Integration? Müssen sich gut gekleidete Musliminnen demnächst anziehen wie Claudia Roth? Wird jedem Türken beim Warten auf die Straßenbahn die Beteuerung abverlangt, er sei eine Ausnahme und kein Selbstmordattentäter?

Wessen Gesellschaft ist das große Gesamtganze, in das sich alle hineinintegrieren sollen? Die von Helmut Schmidt, der bei seiner Abreise ins Land Senilien erklärte, es sei ein Fehler gewesen, überhaupt Fremde einzulassen? Die des Schlagstockanthroposophen Otto Schily, dem bei der kniefälligen Lieb-und-dufte-Türken-Demo in Köln nicht genügend deutsche Fahnen wehten? Wie viel Schwarzrotgold wäre mittlerweile nötig, um Schily ganz persönlich zu befriedigen? Und sind Deutschlandfahnen nicht genauso peinlich, wenn Türken sie schwenken?

Oder heißt das offizielle Maskottchen und Frettchen der Integration Günther Beckstein? Der bayerische Innenminister überlegte, „ob es nicht besser wäre, die Fabriken zu den Menschen zu bringen, anstatt Menschen in andere Kulturkreise zu verpflanzen“. Selten wurden die Vorzüge der Nutztierhaltung so deutlich beschrieben: Arbeitskraft ja, aber die Arbeitskräfte haben gefälligst die Güte, unsichtbar zu bleiben.

Angesichts solcher Angebote gibt es zur Parallelgesellschaft keine Alternative – anders als dort ist das Leben sowieso nicht auszuhalten. Wer will schon Normalität, wenn er stattdessen etwas Schönes bekommen kann? Sich Integrationswahnvorstellungen wie denen des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm anpassen heißt sich einsperren – Schönbohms „integriert“ bedeutet interniert.

Bei mir um die Ecke treffe ich eine türkische Bekannte. Sie hat ein Berliner Filmfest über Migration in Europa mit organisiert, das am 10. Dezember beginnt, und drückt mir ein Programmheft in die Hand. Streng sehe ich sie an und sage: „Von Sprengstoffgürtelträgerinnen nehme ich nichts.“ Sie lacht, dann fragt sie mich, richtig sauer: „Was sind das für ekelhafte Landsleute von mir, die in Köln Beckstein als Redner einladen? Was für Schleimer?!“ Ich bin nicht der richtige Adressat für diese Frage, bedaure aber auch, dass in Köln nichts Hartes Richtung Beckstein flog, als er seine Zuhörer anduzte.

Wir verabschieden uns in unsere jeweiligen Parallelgesellschaften. Desintegation ist lustiger, herausfordernder, aufregender und freier als das Geruckel in den Kasernenköpfen von Beckstein, Schily, Schmidt, Schönbohm und allen, denen das schöne Leben zu anstrengend ist.