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Archiv-Artikel

„Bremen verjagt die schwächsten Glieder seiner Gesellschaft“

Wissenschaftler warnt: Keine andere Stadt schickt jugendliche Straftäter so weit weg, wie Bremen es plant

Von ede

Die Proteste gegen die Verlegung des Jugendknastes nach Hameln reißen nicht ab. Doch die breite Front der Kritiker aus Richtern, Personalräten, MedizinerInnen, PsychologInnen und BewährungshelferInnen findet bei der Behörde kaum Gehör. Dort wird vor allem finanziell argumentiert. In einem Knastneubau sollen die Haftanstalten Bremerhaven und Bremen zusammengelegt und mit weniger Personal bewirtschaftet werden. Der Bremer Jugendvollzug mit rund 100 Personen soll deshalb ins niedersächsische Hameln wandern. „Keine Stadt in Deutschland von der Größe Bremens bringt ihre jugendlichen Straftäter so weit weg“, sagt dazu der Strafrechtsexperte an der Bremer Universität, Helmut Pollähne.

„In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird eine wohnortnahe Unterbringung stillschweigend als das Beste vorausgesetzt“, sagt der Jurist Pollähne. Untersuchungen über mögliche negative Folgen eines wohnortfernen Strafvollzugs gebe es deshalb nicht. Doch zähle das in Bremen derzeit oft angeführte Argument, dass viele Bundesländer ihre Jugendlichen nicht im wohnortnahen Vollzug hätten, nur unter Vorbehalt. In Großstädten nämlich gelte es als Errungenschaft, den Jugendvollzug stadtnah zu unterhalten. Große Entfernungen zwischen Wohnort und Knast beträfen vor allem Jugendliche aus ländlichen Gebieten oder aus Kleinstädten. Bremer PolitikerInnen müssten außerdem berücksichtigen, dass neben den Jugendlichen aus Bremen vor allem solche aus Bremerhaven und aus dem niedersächsischen Umland und Oldenburg schlechter gestellt würden. Diese konnten bislang nach Bremen kommen. „Eine Verlegung des Vollzugs betrifft also die ganze Region“, sagt Pollähne.

Besonders problematisch, so Pollähne, sei dies für die unter 18-Jährigen, die bis zu 15 Prozent der Gefangenen im Jugendknast ausmachten. Sie hätten Anspruch auf den besonderen Schutz ihrer familiären Bindungen – ebenso wie die Eltern ihre Erziehungsrechte müsten wahrnehmen können. Ausgerechnet Bremen, das stolz sei auf seine Unabhängigkeit als Land, schicke nun „die schwächsten Glieder seiner Gesellschaft weg, Personen, die den größten Schutz brauchen“. Das sei ein unschönes Signal, kritisiert Pollähne. Zugleich erinnert er an kritische Debatten, die schon vor Jahren den Bau der Hamelner Jugendhaftanstalt begleiteten. Aus kriminalpolitischer Sicht gelte Vollzug in kleinen Einheiten als erfolgreicher. Nun gebe es dort freie Kapazitäten – die zu der schon damals befürchteten Sogwirkung führten, dass immer mehr Gefangene dorthin verlegt würden. ede