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Archiv-Artikel

„Den Zugang über Gespräche finden“

Die Psychologin Lucyna Wronska klärt deutsche und nichtdeutsche Jugendliche gemeinsam auf. Dies funktioniert mit Rücksicht und Gesprächen statt mit Frontalunterricht, sagt sie. Die Methode könnte auch in Schulen umgesetzt werden

Von JGR

taz: Wie kann man interkulturell aufklären?

Lucyna Wronska: Nicht mit Frontalunterricht und indem man mit den Themen Sex und Verhütung „reinplatzt“. Ich versuche, den Zugang über Gespräche zu finden, welche Normen und Werte den Jugendlichen wichtig sind, wovon sie träumen, etwa von Heirat oder Kindern. Auf dieser Vertrauensbasis kann man dann klären, wie man sich vor Aids und ungewollter Schwangerschaft schützt.

Kultur und Tradition verbieten vielen Migranten, darüber offen zu sprechen?

Ja. Handle ich gleich die Verhütungsmethoden ab, werden Mädchen vor den Kopf gestoßen, in deren Kultur es als wichtig gilt, Kinder zu bekommen. Sie sind schnell verletzt, wenn sie das Gefühl bekommen, man wolle sie manipulieren. Viele Migranten benutzen auch eine andere Sprache, weil bei ihnen „darüber sprechen“ gleich „machen“ bedeutet und deshalb verpönt ist.

Aufklärung erfordert aber doch auch klare Worte?

Das schon, aber nicht unbedingt klare Bilder. Aufklärungsfilme sollte man nur ausgewählt zeigen, Nacktheit ist problematisch. Ich benutze Knete, aus der ich die weiblichen Geschlechtsorgane forme und an der ich sie erkläre.

Welches Thema ist schwer?

Bei der Jungfräulichkeit gibt es erst Streit, dann zeigt sich oft, dass die deutschen Mädchen sich auch eine Art Verbot gewünscht hätten in Bezug auf das erste Mal, vielleicht weil sie es zu früh erlebt haben. Türkische Mädchen dagegen wünschen sich mehr Freiheit. Durch diese Diskussionen verstehen die Jugendlichen andere Kulturen.

Wo ziehen Sie die Grenze?

Man kann nicht alles mit Kultur erklären – die Verstümmelung von Frauen zum Beispiel.

Wie könnte man interkulturellen Sexualkundeunterricht in Schulen gestalten?

Mädchen und Jungen trennen, Pädagogen gleichen Geschlechts unterrichten und „heikle“ Themen langsam angehen lassen, Strukturen lösen: Fünfundvierzig Minuten still sitzen und mit möglicherweise unangenehmen Details konfrontiert werden tut nicht gut.

Und wie sollte mit den Eltern umgegangen werden?

Im Prinzip genauso. Man kann sie zu einer Runde einladen und erst über das Thema Sexualkunde sprechen, wenn Vertrauen da ist. INTERVIEW: JGR

Lucyna Wronska (47), Diplom-Psychologin, arbeitet bei „Kind im Zentrum“, wo sie Opfer sexueller Gewalt und die Täter betreut, und ist Mitarbeiterin am Institut für Sexualpädagogik