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Archiv-Artikel

Hymne an den Hurrafußball

Nach einem 2:2 gegen Zenit St. Petersburg traut sich der Zweitligist Alemannia Aachen nicht zu trauern und kann immer noch die dritte Runde im Uefa-Cup erreichen

KÖLN taz ■ Aachens Sportdirektor Jörg Schmadtke hatte nachher die Lage besser getroffen als seine Stürmer das Tor: „Wir haben eine russische Spitzenmannschaft 45 Minuten komplett an die Wand gespielt, sodass die in der Halbzeit Scouts brauchten, um ihre Kabinen zu finden.“ Am Ende eines hochdramatischen Fußballabends voller Turbulenzen und Verzweiflung hatten 10:2 Ecken noch nicht einmal das Chancenverhältnis wiedergegeben, das lag bei 15:4. Gemeinerweise könnte man Dennis Brinkmann und Reiner Plaßhenrich loben: Sie hatten als einzige Aachener Feldspieler keine klare Chance vergeben, verdaddelt, verschwendet.

Man hätte eine Hymne an den Hurrafußball schreiben können, eine Ode an die Offensive. Wenn da nicht das gemeine Ergebnis von 2:2 gestanden hätte. Für das Remis hatten die Aachener sogar noch einen geschenkten Elfmeter in der Schlussminute gebraucht, der aber alle Chancen auf ein Weiterkommen im Uefa-Cup offen hält. Allerdings muss bei AEK Athen am 15. Dezember gewonnen werden.

„Heute haben wir Unterricht in Effektivität bekommen“, sagte der überragende Alemannia-Kapitän Erik Meijer. Zenit war dabei ein sehr unfreiwilliger Lehrmeister. Offensiv verbreitete ihr flinkes Knirpse-Trio um den wirbelwindigen Kerschakow wenigstens gelegentlich Schrecken. Aber diese Abwehr: Ungeschickt und zeitweilig kaum drittligareif in Stellungsspiel und Zweikämpfen, so sie diese überhaupt suchten oder fanden. Kaum eine Flanke in den Petersburger Strafraum, die die Defensivdarsteller selbst geklärt hätten, allein Alemannia verdusselte, vertändelte. Nach 80 Minuten, als die Russen gerade in Führung gegangen waren, demonstrierte Kapitän Wladislaw Radimow besonders schusselige Desorientierung. Eifrig gestikulierend zeigte er vor der Trainerbank auf sein Handgelenk: Wie lange noch, wie lange noch, sollte das heißen. Man zeigte ihm die riesige Stadionuhr. Radimow lächelte sogar.

Zenits tschechischer Trainer Vlastimil Petrzela, der schon vorher mit dem kryptischen Satz „Wenn ich wüsste, wie wir die schlagen sollen, wäre ich Weltmeister“ aufgewartet hatte, redete unter ständigem Kopfschütteln so konfus, wie seine Mannschaft gespielt hatte. „Sehr enttäuscht“ sei er, „war nicht wie Fußball, sondern mehr Boxen oder Rugby“, insgesamt „kein guter Saisonabschluss“, aber er brauche „mehr Zeit zu analysieren“, und beleidigt-bös: „Ich will meine Mannschaft jetzt nicht mehr sehen.“ Auf Nachfrage der taz, ob es im Russischen ein Wort für Glück gebe, antworte er freundlich: „Ja, es gibt.“ Wenigstens eine klare Aussage des Nichtweltmeisters.

Mit gut 25.300 angereisten Aachenern war das Kölner Exilstadion gut halb voll gewesen, aber eben auch fast halb leer. Die Kommentare pendelten ähnlich fifty-fifty zwischen strahlendem Stolz über die gebotene Show und bedröppelt-mienigem Frust über das Ergebnis. „Tolle Sache“ fand der eingewechselte ewige Willi Landgraf einerseits – und beklagte gleich die Mängel im fußballerischen Wohnungsbau: „Tja, weiße: Wir haben eben zu wenig Hütten gemacht.“ Stefan Blank fand das Resultat „sehr ärgerlich“, aber wir haben „eine sehr gute Schlacht geliefert, ein Riesenspiel“. Erik Meijer („Hut ab vor unserem Spiel“) blieb bei „gemischten Gefühlen“. Nur Kai Michalke gab sich russisch konfus: Er sprach zur Überraschung aller von „einem gerechten 2:2“.

Alemannias Präsident Horst Heinrichs setzte ein dickes Ausrufezeichen hinter seine Frage: „Wir haben uns ganz toll präsentiert, oder!“. Trainer Dieter Hecking reklamierte „großen Sport“ und unterließ jeden Vorwurf: „Wer Kritik übt, liegt falsch.“ Jörg Schmadtke: „Nur wenn man vergisst, wo man herkommt, fängt man an zu heulen.“ Sollte heißen: „Wir sind eben Zweite Liga.“ Mit schnellem Zusatz in Stolzgold: „Auch wenn es manchmal nicht so aussieht.“

Falls der Hüttenbau in Athen besser gelingt, wünschen sich alle ganz unbescheiden Real Madrid als nächsten Gegner. „Die nennen sich die Königlichen“, meinte ein Fan. „Na und! Wir sind die Kaiserlichen aus der Kaiserstadt.“ BERND MÜLLENDER