: Computermäuse als Geiseln genommen
Wie StudentInnen die Redaktionsräume besetzen, den Abdruck ihrer mitgebrachten Texte fordern und der „Zeitungslogik“ des frühen Redaktionsschlusses partout nicht folgen mögen: Chronik eines bewegten Tages in der Berliner taz-Zentrale
aus Berlin ANNA LEHMANN
Die Tür steht offen, die Redaktionsräume sind noch leer, als ein Trupp von 60 StudentInnen kurz nach acht Uhr früh in die Berliner taz-Zentrale vorstößt. Als erstes werden die schutzlosen Computer-Mäuse zu Geiseln genommen, dann üben die Besetzer Druck aus: Ihr gebt uns die Seite eins, und wir geben euch eure Mäuse wieder.
Hausbesetzungserfahrene tazler kennen die Spielregeln und reagieren prompt. Ätsch, wir haben eure Rucksäcke geklaut, gebt unsere Mäuse frei. Daraufhin machen die Studenten dicht und pappen orangefarbene Schilder an Vorder- und Hinterausgang: „Besetzt.“ Spannung baut sich auf, entlädt sich in Gerempel zwischen taz-Geschäftsführern und Studenten: „Ey du Schweinebulle, lass mich los“.
In der Redaktionskonferenz wird der Ärger dann kanalisiert. „Wer ist denn die Kleine im orangenen Pullover?“, erkundigt sich Alexis. Das ist die Chefredakteurin, gibt man ihm Auskunft. „Ooch, die ist ja gar nicht so ruppig, wie immer berichtet wird.“ Alexis ist FU-Student, wie die meisten Besetzer. Im dortigen Institut für Soziologie wurde die Idee der taz-Besetzung kreiert. Die selbst ernannten Erben Rudi Dutschkes besetzen das Rudi-Dutschke-Haus.
„Gut, sagt Chefredakteurin Bascha Mika, „ihr seid unsere Gäste. Wir geben euch drei Seiten, und die gestalten wir zusammen.“ Das finden die Studenten „Scheiße“. Sie wollen ihre eigene Zeitung machen. Zwar soll taz draufstehen, aber drinnen soll es endlich „Inhalte“ geben. Keine Fotos, keine überflüssigen Gestaltungsmittel – sondern Texte, Texte, Texte. Lasst uns anfangen, fordert die Produktionsabteilung. Mittlerweile ist es 11 Uhr, die Redakteure scharren nervös mit den Füßen. Bascha Mika droht: Ohne Mäuse keine Zeitung, ohne Zeitung keine Inhalte. Das zieht. Das Plenum vertagt sich, die Arbeit kann beginnen.
Vor dem Büro der Chefredakteurin stehen unschlüssig die Studenten Andreas und Jan-Berend. Sie sind zur Blattkritik eingeladen worden, nun mussten sie das Rederecht an ihre Kommilitonen abgeben. Die hätten sie hier gar nicht erwartet. „Wieso werden ausgerechnet die Studi-freundlichen Medien besetzt?“, wundert sich Jan-Berend. „Wieso seid ihr hier und nicht bei Springer?“, fragen einige taz-Mitarbeiter. Ein Besetzer im blauen Kapuzenpulli klärt freundlich auf: „Na, weil wir ein Forum wollen und die linksliberale taz auf unserer Seite ist.“ Nicht ganz. Denn längst mache die taz, so steht es in der Erklärung der Besetzer, beim „Gerede von der wehrhaften Volksgemeinschaft“ mit.
Um 12 Uhr zeigt sich: Die Inhalte reichen nicht. Nur zwei statt drei Seiten können gefüllt werden. Kein Problem, wir stimmen ab, wie’s weitergeht. Plenum. Wir sollten radikaler werden, fordert ein Mädchen mit Mütze. Ein ebenfalls bemützter Junge verweist auf den Redaktionsschluss. „Wir werden doch nicht deren Zeitungslogik folgen“, pariert ein Mädchen mit Schal. Wir bleiben hier, bis wir den Aufmacher haben, fordert jemand. Das Plenum tagt und tagt. Bei Redaktionsschluss tagt es immer noch.