: Das Lächeln nach dem Biss
Angela Merkel muss auf dem CDU-Parteitag nicht um ihre Macht fürchten: Alle Kritiker sind in die zweite Reihe verdrängt. Jetzt wird ihr Image aufpoliert
von BETTINA GAUS
Angela Merkel mag gefüllte Paprikaschoten, Entenbraten und die Musik von Gustav Mahler. Vor öffentlichen Auftritten wie auf dem Düsseldorfer Parteitag am Montag leidet sie regelmäßig unter Lampenfieber. Selbstkritisch räumt die CDU-Vorsitzende eigene Schwächen ein: Sie schläft gerne lange und geht nicht jeden Morgen diszipliniert zum Joggen. Wer könnte das nicht nachvollziehen?
Zu erfahren war all das in Bild und Bunte. Man kann Angela Merkel gewiss manches nachsagen – aber etwas bislang nicht: dass sie je der Versuchung nachgegeben hätte, mit neckischen, scheinbar intimen Informationen aus ihrem Privatleben um Sympathien zu werben. Wenn sie nun plötzlich menschelt, dann lässt das weit reichende Schlüsse auf den Gemütszustand der Taktiker in der Parteizentrale zu. Die scheinen Imagepflege für dringend nötig zu halten. Aus guten Gründen. Zwar hat die 50-jährige Politikerin, die sich am Montag auf dem Parteitag in Düsseldorf für eine dritte Amtsperiode als Vorsitzende bewirbt, keinerlei Anlass, um ihre Wiederwahl zu bangen. Aber darum geht es gar nicht. Angela Merkel braucht nach den personellen und sachlichen Querelen der letzten Monate ein Ergebnis, das sich überzeugend als Erfolg darstellen lässt – und dafür liegt die Latte hoch. 93,7 Prozent der Stimmen erhielt sie vor zwei Jahren. Dass sie das noch einmal schaffen wird, bezweifeln nicht nur parteiinterne Gegner.
Deren Zahl steigt kontinuierlich. Als gelehrige Schülerin von Helmut Kohl ist Angela Merkel immer wieder bezeichnet worden. Ihr Machtinstinkt ähnele dem des Altkanzlers. Diese Analyse scheint schon allein dadurch bestätigt zu werden, dass sich die ostdeutsche Protestantin ohne eigene Hausmacht, die von vielen in der katholisch geprägten Westpartei als Fremdkörper empfunden wird, bereits so lange unangefochten an der Spitze der CDU halten kann.
Je länger Angela Merkel jedoch im Amt ist, desto deutlicher treten die Unterschiede zwischen ihr und Helmut Kohl zutage. Er trennte die politische Welt in Freund und Feind – sie scheint sie in nützliche, weniger nützliche und schädliche Leute aufzuteilen. Mit einem solchen Blick ist man zum Erfolg verdammt. Denn es lässt sich damit zwar Unterstützung von Fall zu Fall erringen, aber eben keine langfristige Loyalität erwerben. Kohl verfuhr erbarmungslos mit seinen Gegnern. Er kannte jedoch auch den – politischen – Wert der Treue gegenüber Weggefährten. Angela Merkel scheint hingegen wenig Skrupel zu haben, in eine Hand zu beißen, die sie gefüttert hat. Wie übrigens ausgerechnet Helmut Kohl als erster erfahren musste.
Die CDU-Vorsitzende agiert in personalpolitischen Fragen vorsichtig und durchaus erfolgreich. Jedenfalls dann, wenn als Maßstab gilt, dass niemand in Schlüsselstellungen kommt oder verbleibt, der ihr gefährlich werden kann. Der Arbeitsmarktpolitiker Karl-Josef Laumann, der im CDU-Präsidium künftig den Platz des im Zorn geschiedenen Friedrich Merz einnehmen soll, wird Angela Merkel weniger Probleme bereiten als sein Vorgänger. Gleiches gilt für für die Abgeordneten Michael Meister und Ronald Pofalla, die in der Fraktion die Aufgaben von Merz übernommen haben.
Nicht einmal die Abstimmungsniederlage von Annette Schavan im Kampf um die Spitzenkandidatur in Baden-Württemberg wird der CDU-Vorsitzenden schaden, obwohl die Verliererin als eine der wenigen engen Vertrauten von Angela Merkel gilt. Diese hatte jedoch schon vor Wochen alles dafür getan, um sich Parteilichkeit in diesem Wettstreit nicht nachweisen zu lassen. Das dürfte sich nun bezahlt machen.
In der Fraktion muss Angela Merkel derzeit ohnehin keinen offenen Widerstand mehr befürchten. Mit dem Rückzug des CSU-Gesundheitsexperten Horst Seehofer sind die Unbequemen dort endgültig kaltgestellt worden. Aber der Preis dafür war hoch. Der Union fehlt es nun an profilierten Experten in der zweiten Reihe. Angela Merkel scheint das nicht so wichtig zu finden. Wie sich nicht nur daran zeigt, dass sie Wolfgang Schäuble – einen der letzten anerkannten Fachpolitiker in wichtiger Funktion – behandelt hat wie Manövriermasse auf einem Verschiebebahnhof. Sondern auch an der Programmdiskussion der letzten Wochen und an der Planung des Parteitages.
Der von Beobachtern über alle politischen Lager hinweg einmütig und heftig gescholtene „Gesundheitskompromiss“ zwischen CDU und CSU erfüllt seine Funktion: Er ist so kompliziert, dass das Thema im vorhersehbar plakativen Bundestagswahlkampf vom Tisch sein dürfte, zumal ja auch die rot-grüne Koalition ihr Alternativmodell der Bürgerversicherung nur halbherzig verfolgt. Nachdem sich gezeigt hat, dass keine seriöse Einigung innerhalb der Union möglich schien, ist das – aus wahltaktischer Sicht – immerhin die zweitbeste Lösung. Ermöglicht der „Kompromiss“ doch CDU und CSU wenigstens, Widersprüche zum christdemokratischen Konzept einer radikalen Steuerreform zu verschleiern.
Die Devise lautet also: Bloß nicht zu transparent argumentieren. Folgerichtig kommt der Parteitagsleitantrag „Wachstum, Arbeit, Wohlstand“ über Banalitäten und Bekanntes nicht hinaus. Da aber Delegierte auch in inhaltlicher Hinsicht ein wärmendes Gefühl der Zusammengehörigkeit brauchen, werden nun ganz alte Schätzchen aus der Kiste geholt: Patriotismus und Leitkultur. Ironischerweise war es übrigens ausgerechnet Friedrich Merz, der im Oktober 2000 darüber einst eine heftige Kontroverse entfachte.
Inzwischen gibt es in dieser Hinsicht kein Halten mehr. Dem CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer genügt es nicht, wenn sich Ausländer in Deutschland zu den Prinzipien der Verfassung bekennen. Es soll schon die „christlich-humanistische Tradition“ sein. Wie Muslime das machen sollen, verrät er bislang nicht.
Die Rechnung von Angela Merkel kann aufgehen. Entscheiden wird sich das jedoch nicht auf dem Parteitag, sondern bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im kommenden Jahr. Bleibt die CDU dort hinter den Erwartungen zurück, dann mag eine Umfrage plötzlich ins Blickfeld der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken, die bislang so ernst nicht genommen wird: Dass nämlich der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff bei den Deutschen als Wunschkandidat für das Amt des Bundeskanzlers derzeit nur noch ganz knapp hinter Angela Merkel liegt.