Späte NS-Aufarbeitung

Mit dem Buch „Zwang und Zuwendung“ beleuchtet das Bistum Essen das Leiden der Zwangsarbeiter in katholischen Einrichtungen im Ruhrgebiet

„„Wir haben ehemalige Zwangsarbeiter getroffen, die begeisterte Mercedes-Fahrer waren““

VON NATALIE WIESMANN

Die katholische Kirche im Ruhrgebiet hat ein dunkles Kapitel ihrer NS-Vergangenheit aufgearbeitet: Das Buch „Zwang und Zuwendung“ beschäftigt sich mit der Zwangsarbeit in den eigenen Einrichtungen.

Wie der Titel bereits andeutet, will die Publikation alle Seiten der Rolle der katholischen Kirche beleuchten: Die Autoren leugnen nicht den Tatbestand der Zwangsarbeit in katholischen Einrichtungen. „Auch in kirchlichen Einrichtungen blieb Zwangsarbeit erzwungene Arbeit“, sagt Baldur Hermans, Herausgeber und Dezernent für gesellschaftliche und weltkirchliche Aufgaben im Bistum Essen. Aber die Umstände seien angeblich humaner gewesen als anderswo. Und es hätte auch viel persönliche Zuwendung durch deutsche Christen gegeben, behauptet der Kirchenmann. Hermans habe ehemalige Zwangsarbeiter aus katholischen Einrichtungen kennengelernt, die in der Nachkriegszeit gerne zurückkamen: „Wir haben Zwangsarbeiter getroffen, die begeisterte Mercedes-Fahrer waren“.

Das Nazi-Regime setzte mehr als ein Drittel aller Zwangsarbeiter im Revier ein. Die Waffenschmiede Ruhrgebiet war auf die etwa vier Millionen Zwangsarbeiter angewiesen, um die Rüstungsproduktion aufrecht zu erhalten. Die eigene Belegschaft war in den Kriegsjahren so drastisch gesunken, dass zeitweise die Hälfte der Kriegsproduktion von Zwangsarbeitern verrichtet wurde.

Vergleichsweise dazu sei der Einsatz von Zwangsarbeitern bei den katholischen Einrichtungen relativ gering gewesen: Insgesamt konnte die Archiv-Recherche des Bistums Essen 268 überwiegend osteuropäische Arbeitskräfte in Institutionen der katholischen Kirche nachweisen. Sie arbeiteten in Krankenhäusern, Altenheimen und Waisenhäusern. Sehr spät bekannte sich die katholische Kirche dazu, Zwangsarbeiter eingesetzt zu haben. Erst 1990 richtete die Deutsche Bischofskonferenz einen „Entschädigungsfonds“ und einen „Versöhnungsfonds“ mit jeweils 5 Millionen Euro für Zwangsarbeiter ein.

Zur gestrigen Buchvorstellung hat das Bistum Essen eine vorteilhafte Auswahl getroffen: Zeitzeuge Abbé Robert Gardes ist den deutschen Katholiken dankbar. Er war unter den mehr als tausend Franzosen, die 1943 zum „service du travail obligatoire“ nach Dortmund einberufen wurden. Im Martinswerk des Dortmunder Hörder-Hüttenvereins (DHHV) musste er vor einem Konverter mit flüssigem Stahl die glühend heißen Kokillen und den Kanal reinigen. Dabei verletzte er sich wegen mangelnder Schutzkleidung an den Beinen – noch heute sieht man die Narben. Trotzdem betont der inzwischen 83-Jährige auch die positiven Erfahrungen seiner Zeit in Deutschland: „Ich habe viel Brüderlichkeit erlebt“, sagt er.