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Archiv-Artikel

Wenn Mutti zu viel kostet …

Rente und Pflegeversicherung reichen oft nicht aus, um das Heim zu bezahlen. Eltern und Kinder haben Angst, lebenslang füreinander sorgen zu müssen

von BARBARA DRIBBUSCH

„Granny dumping“ – so nennt man in den USA Fälle, in denen verwirrte alte Menschen von ihrer Familie ausgesetzt werden, um hohe Heimkosten zu sparen. Das Schlagwort von den „entsorgten Omas“ erregte die Gemüter. In Deutschland gibt es solche Fälle noch nicht. Aber die Frage, inwieweit Kinder für die Heimkosten pflegebedürftiger Eltern aufkommen müssen, weckt auch hierzulande viele Emotionen. Für heute wird ein weiteres Urteil des Bundesgerichtshof zum Thema erwartet. Dabei geht es um die Unterhaltspflicht einer Tochter gegenüber ihrer alten Mutter (siehe Text unten).

Während die Rechtsprechung zu diesen Unterhaltspflichten zunehmend großzügiger geworden ist, versuchen die Sozialämter in der Praxis immer strenger, die Kinder in die Pflicht zu nehmen. „Die öffentlichen Kassen sind knapp, also wird der Rückgriff der Sozialämter härter“, sagt der Siegener Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz, „der Bedarf an Beratung zu diesem Thema hat stark zugenommen“.

In die Kanzlei von Kotz, Experte für Sozialrecht, kommen viele klassische Fälle: Da ist die Großmutter mit ihren erwachsenen Kindern, die zunehmend gebrechlicher wird und wohl bald ins Pflegeheim muss. Die alte Dame bewohnt das Haus, das sie und ihr Mann 30 Jahre lang abbezahlt haben. Was passiert mit dem Familienerbe, wenn sie in stationäre Pflege geht? „Da kommen Ängste auf, verständlicherweise“, sagt Kotz. Denn Heimkosten von 3.500 Euro im Monat können ein Familienvermögen schnell abschmelzen lassen – und das Sozialamt zahlt die Heimkosten nur dann, wenn der Pflegebedürftige seinen Besitz aufgebraucht hat und die Kinder weder überdurchschnittlich verdienen noch ein größeres Vermögen haben (siehe Kasten).

Der Pflegefall der alten Eltern bleibt danach immer ein Risiko für die besserverdienende Mittelschicht – und weckt gerade darum große Absturzängste. Die Sozialversicherung versuchte dies abzumildern. 1995 rief der damalige CDU-Sozialminister Norbert Blüm die Pflegeversicherung ins Leben, die bald den Spitznamen „Erbenschutz-Versicherung“ erhielt.

Doch die Maßnahme hilft nur bedingt. Heimbewohner bekommen heute von der Pflegeversicherung bis zu 1.430 Euro monatlich an Kosten erstattet. Rechnet man noch die Rente des Pflegebedürftigen hinzu, so bleibt in vielen Fällen dennoch ein Restanteil der Heimkosten, der entweder aus dem Vermögen des Betroffenen oder vom Sozialamt beziehungsweise den Kindern zu tragen ist. Für rund 250.000 Heimbewohner in Deutschland – immerhin rund 40 Prozent der stationären Pflegefälle – kommt das Sozialamt derzeit zumindest anteilig auf.

Angesichts der vielen Heimbewohner ist der Rückgriff der Sozialämter auf die Angehörigen jedoch erstaunlich gering: Die Unterhaltsverpflichteten von Pflegebedürftigen zahlten im Jahr 2001 nur rund 40 Millionen Euro zurück. In den meisten Fällen, so lässt sich schließen, bleiben die erwachsenen Kinder also mit ihrem Einkommen und Vermögen innerhalb der Freibetragsgrenzen. Wenn es um die private Begleichung von Heimkosten geht, wird vermutlich sehr viel häufiger schlichtweg das Vermögen der Betroffenen abgeschmolzen als die Kinder behelligt.

Das Risiko, dass alte Menschen zum stationären Pflegefall werden, ist ohnehin geringer als man vermuten würde. Von den über 80-Jährigen ist zwar jeder dritte ein Pflegefall, aber nur jeder achte der Hochbetagten lebt im Heim. Die Mehrzahl der gebrechlichen Betagten wird zu Hause versorgt.

Doch auch wenn diese Zahlen beruhigen, die Sorge, dass Eltern und Kinder quasi lebenslang füreinander aufkommen müssen, bleibt. Während die Sozialämter bei den Heimkosten auch die Angehörigen heranziehen, ist das jedoch bei der eigentlichen Sozialhilfe im Alter, der so genannten „Grundsicherung“, nicht mehr der Fall. Dabei werden über 65-Jährigen, die keine oder nur eine Rente unter Sozialhilfeniveau beziehen, seit Anfang diesen Jahres die Bezüge bis in Höhe der Sozialhilfe aufgestockt. Die Behörden greifen dabei nicht mehr auf die erwachsenen Kinder zurück, es sei denn, diese verfügen über ein Jahresnettoeinkommen von mehr als 100.000 Euro. Die Neuregelung der „Grundsicherung“ ist auch für die heute über 40-Jährigen eine Erleichterung, mit Blick auf die Zukunft. Denn wer jetzt schon weiß, dass es im Alter bestenfalls zu einer Grundsicherung reicht, kann zumindest gewiss sein, dass die eigenen Kinder später unbehelligt bleiben – es sei denn, man wird zum Pflegefall.