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Archiv-Artikel

Nicht einverstanden sein mit dem Unrecht

Der Stillstand des Politischen gebiert Ungeheuer: Die Ausstellung „World Watchers“ in der NGBK beschäftigt sich mit Verschwörungstheorien. Balance zu halten zwischem gestalterischer Eigensinn und dem Wust der Recherche ist nicht einfach. Und ein Rattenschwanz an Zusatzwissen äußerst nützlich

von HARALD FRICKE

Oft reicht ein Gerücht. Jemand kennt eine Website, auf der Listen mit Büchern stehen, aus denen hervorgeht, wo sich Hinweise dafür finden, das Berichte existieren, nach denen gewisse Personen im Begriff sind, Verbrechen, wenn nicht Mord gar zu begehen oder wenigstens einen Betrug, der die Öffentlichkeit Milliarden kostet. Beim nächsten Mal werden Namen genannt!

Die Beschäftigung mit Verschwörungstheorien kann rasch selbst paranoide Züge annehmen. Schließlich findet sich immer noch ein weiterer verschlungener Pfad, der zu jener Tür führen könnte, hinter der die wahren Weltbeherrscher beieinander sitzen wie die Ritterrunde von König Artus. Stets ist der Verschwörungstheoretiker nah dran an der Aufdeckung irgendwelcher geheimen Bündnisse, über die er längst irrsinnig ausufernde Archive angelegt hat. Am Ende fehlt dann doch der letzte Beweis: Lebt Elvis unerkannt in Wuppertal? Wurde die Mondlandung in den Studios von Hollywood gedreht? Und wer waren die Drahtzieher hinter den Attentaten vom 11. September? Mathias Bröckers hat zu dieser Frage immerhin einen Bestseller der Verschwörungstheorie verfasst.

Die Ausstellung „World Watchers“ in der NGBK dagegen weiß nicht, wo Ussama Bin Laden lebt, und sie sucht auch nicht nach dessen Verbindungen zum Bush-Clan. Eher schon löst sich hier die Faszination am Komplott schlechthin in einer Kurzform auf: Es geht um das Verhältnis von „Demokratie. Information. Subjekte.“, wie im Untertitel versprochen; darum, wer was auf welchem Weg in jenes Spiel bringt, das man den Machtdiskurs nennt.

Da ist zum Beispiel Mae Brussell, eine fünffache Mutter und Hausfrau, die nach der Ermordung von John F. Kennedy ins Stutzen kam, weil der vermeintliche Täter Lee Harvey Oswald allzu schnell überführt war und noch schneller selber erschossen wurde. Für Brussell war ihr Zweifel am amerikanischen Rechtssystem der Einstieg in die Welt der Verschwörungen: Über Jahrzehnte hinweg durchforstete sie Zeitungen und Berge von Akten in den US-Bundesbehörden nach dem entscheidenden Dokument, das Wahrheit über JFK und Dallas schaffen sollte. Vergeblich, natürlich. Nebenbei ist sie jedoch zur Herausgeberin eines Newsletters geworden und hat bis zu ihrem Tod in den Achtzigerjahren Radiosendungen produziert mit Titeln wie „Dialogue: Conspiracy“ oder „World Watchers International“.

Damals wurde auch der heute in Berlin lebende Schriftsteller Darius James auf die umtriebige „Queen of conspiracy theorists“ aufmerksam. In der Ausstellung liegen ein paar knappe Briefwechsel mit ihr aus, tatsächlich hatte Brussell sich ein gut organisiertes Netzwerk aufgebaut, um zuletzt die Nugan-Hand-Affäre über Verstrickungen der US-Regierung in die Geldgeschäfte einer australischen Bank offenzulegen. James allerdings interessiert sich mehr für die Subversion, die dieser Art Gegen-Information selbst ausstrahlt: Wo ist die Schnittstelle von Fakt und Fiktion? Deshalb hat er einen Monolog geschrieben, der auf seinen Kontakten zu Brussell beruht und der nun von Angie Reed mit kratzig unterkühlter Stimme als Pulp-Documentary per Video vorgetragen wird.

Auch bei den anderen Exponaten kommt man nicht ohne einen Rattenschwanz an Zusatzwissen aus. In Helgard Haugs Klanginstallation „Blau, blau, blau blüht der Enzian“ geht es um verschlüsselte Botschaften, die im Radio von Geheimdiensten als Zahlencode eingesetzt werden. Dagegen schneidet Haug, Mitbegründerin des Regieteams „Rimini Protokoll“, zwischen weiß tapezierten Wänden das Flüstern einer Moderatorenstimme, die jeden Sonntag auf DeutschlandRadio Berlin ein Hörerrätsel aufgibt – so nahe liegen Staats- und Unterhaltungsapparat beieinander. Der Däne Henrik Olesen wiederum hat in seiner 2002 entstandenen Serie „manipulating media“ Titelseiten von Tageszeitungen im Lettraset-Verfahren überarbeitet, so dass von ihm gedichtete Schlagzeilen die Nachrichten überlagern. Die Montagen sind in ihrer Machart zwar plump und dennoch ein subtiles Mittel zum Zweck: Bei jeder Headline staunt man, dass trotz ihrer Richtigkeit nie ein echter medialer Skandal daraus geworden ist.

Ohnehin zeigt „World Watchers“ lieber minoritäre Positionen und verzichtet auf das konsensheischende Kampagnen-Spektakel à la Michael Moore. Wenn David Hullfish Bailey am Modell eines erdbebenresistenten Hauses für Los Angeles bastelt, hat er aber bei aller Detailpuzzeligkeit auch soziale Spannungen im Blick. Zugleich ist es dieser utopische Wille, durch den sich die Ausstellung von möglichst ausgefallenen Bilderfantasien zum Thema abhebt. Surrealismus war einmal; wer heute Verdacht schöpft, muss nüchtern vorgehen.

Dafür gibt es laut Alice Creischer gute Gründe: „Verschwörungstheorien sind nicht lustig“, sondern Ausdruck für das Nicht-einverstanden-Sein mit jedem Unrecht, das öffentlich geschieht. Sie selbst hat eine Geschichte im Format eines Oktavhefts gedruckt, bei der die Depression der Kohl-Ära in halluzinatorische Wahrnehmung mündet: Der Stillstand des Politischen gebiert Ungeheuer. Dagegen hilft nur der Aktivismus der Aufklärung, etwa über den Immobilienhandel der Berliner Bankgesellschaft, zu dem am 15. Februar eine Paneldiskussion mit Creischer, Journalisten und Rechtswissenschaftlern stattfinden soll.

Dass sich die Verschwörung dennoch als Thema für die bildende Kunst eignet, liegt am Reiz ihrer visuellen Darstellbarkeit. Ständig gilt es die Balance zu halten zwischen gestalterischem Eigensinn und dem ordnenden Blick im Wust der Recherche. Vom 1976 verstorbenen Öyvind Fahlström stammen Kartografien, in die er minutiös eingezeichnet hat, wie sehr die USA sich in die Politik anderer, zumal diktatorisch regierter Länder einmischen konnten, um vor allem wirtschaftlich Vorteile aus der Intervention in Chile oder Haiti zu schlagen. Alles ist wichtig, von der Peso-Abwertung bis zum Bruttosozialprodukt. In dieser Tradition steht auch die Arbeit von Mark Lombardi, der den Filz von Offshore-Bankgeschäften in Diagramme und Schautafeln überträgt. Der Daten- und File-Minimalismus wird mittlerweile hoch im Kunstbetrieb gehandelt – auch weil Lombardi 2000 auf mystriöse Weise ums Leben gekommen sein soll.

Bis 15. Februar 2004, täglich 12–18.30 Uhr, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstraße 25, 1099 Berlin. Katalog, 204 Seiten, 14 Euro