Kunst auf Sendung

Das Flimmern auf den Monitoren, die Demokratie in der Kunst: Die Kunsthalle Düsseldorf widmet dem Fernseh- und Videogaleristen Gerry Schum eine große und längst überfällige Retrospektive

von MAGDALENA KRÖNER

Fernsehen und Kunst – gemeinhin geht das nicht zusammen. Das eine steht für ein Massenphänomen, das stets Gefahr läuft, die Volksintelligenz zu gefährden, die andere für Hochkultur, die den Rahmen des ersten sprengt. Passt Kunst überhaupt ins Fernsehen? Einer, dem zu dieser Frage ganz neue Antworten einfielen, war der Kameramann, Regisseur und Dokumentarfilmer Gerry Schum. Er brachte die Kunst ins Fernsehen und stellte die bis dato existierenden Annahmen zu Kunst und Glotze auf den Kopf.

Zwei Fernsehausstellungen inszenierte Schum im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. 1969 zeigte er die damals wichtigsten Vertreter der „Land Art“, darunter Robert Smithson, Richard Long und Michael Heizer in einer gleichnamigen Ausstellung im Sender Freies Berlin (SFB), ein Jahr später Arbeiten von Joseph Beuys, Daniel Buren, Hamish Fulton, Gilbert & George, Mario Merz, Klaus Rinke, Lawrence Weiner und weiteren in „Identifications“.

Wie die Künstlerin Ursula Wevers, Schums damalige Ehefrau, erzählt, ging es „bei ‚Land Art‘ im SFB natürlich auch darum, diesen isolierten Punkt Berlin zu stärken“. Welches schier absurde Ausmaß diese besondere Form der Standortpflege annahm, ist in einer Art abstraktem Studionachbau der Düsseldorfer Architektengruppe rheinflügel (die bereits die Kunsthalle umgestaltete) zu erleben. Als wäre die Ausstrahlung allein nicht Kunst- Event genug, wurde ein traditioneller Vernissagen-Abend mit geladenen Gästen im Berliner Studio inszeniert – komplett mit Häppchen und Sektempfang, zu dem eine Hand voll Monitore flimmerten.

Auch in der Düsseldorfer Kunsthalle flimmern in schlicht weiß gehaltenen Nischen und Eckchen die Monitore. Ich glotz TV – das ist, auch dreißig Jahre später, spektakulär, sehenswert, einzigartig. Dankenswerterweise hat man hier sowohl auf hochpolierte Beamer-Präsentation als auch auf die Reinszenierung nostalgischen Flairs verzichtet. Für Ulrike Groos und ihre Kokuratorinnen Ursula Wevers und Barbara Hess ist die Ausstellung, für die man sich ein paar ungemütliche Januartage reservieren sollte, die gut genutzte Gelegenheit, fast vergessene Happenings und Inszenierungen am rechten Ort in Erinnerung zu rufen. Gerade diesen Kunstformen bot Schum in einer weiteren Initiative ein völlig neuartiges Forum, wie die außerordentlich verdienstvolle, weil längst überfällige Retrospektive zeigt.

Für den Aufbruch der Kunst ins Fernsehzeitalter schien es nämlich Anfang der 70er-Jahre noch zu früh – die beiden Sendetermine in der ARD sollten die einzigen bleiben: „Uns wurde mitgeteilt, wir verhielten uns nicht vertragskonform. Wir hatten lediglich darauf bestanden, dass die Arbeiten ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und formalen Bedingungen behalten müssten – auch und gerade im Fernsehen“, erklärt Wevers. „Wenn eine zusätzliche Information oder ein Kommentar notwendig sind, dann sind es schlechte Objekte“, schrieb Richard Long zu „Land Art“ – doch das kam bei den Fernsehverantwortlichen nicht an.

Schum ging also einen Schritt weiter. Er verkaufte das Film-Equipment, sattelte ganz auf Video um und eröffnete 1971 auf der Ratinger Straße 37 in Düsseldorf seine videogalerie schum. Technikeuphorie und Fortschrittsglaube schienen plötzlich mit künstlerischen Zielen vereinbar: Die Kunst zu demokratisieren, sie erschwinglich zu machen und möglichst weit zu verbreiten, stand gegen einen elitären Unikatsgedanken. Fortan wurden „Video-Originale“ produziert, das heißt, die Künstler entwickelten videotaugliche Kunstideen, für deren Umsetzung meist Schum und Wevers sorgten.

Denkwürdige Schauspiele kamen dabei heraus; auch Momente voll absurder Komik, so etwa dieser: Joseph Beuys sitzt vor einem Fernseher, dessen Bildschirm mit einem Stück Filz sorgsam abgedeckt ist. Lange Zeit regt sich nichts, dann schlägt er sich selbst mit Boxhandschuhen ins Gesicht. Anschließend besorgt er sich eine Blutwurst, schnitzt sie sich zu einer Art Samuraischwert und bearbeitet damit immer wieder den Flimmerkasten. Wer weiß, vielleicht sehen Künstler ja so fern? Tatsächlich war diese Aktion Teil der Arbeit „Filz-TV“. Schums neuartiger Ansatz sorgte rasch für internationale Anerkennung: 1972 nahm Schum sowohl an der documenta 5 als auch an der Biennale von Venedig teil, wo er einen internationalen Videoworkshop gestaltete.

Die Euphorie trug allerdings nicht weit: Die videogalerie schum schien ihr Publikum zu überfordern. Offenbar war Video als Medium zu neu. Es war teuer in der Handhabung und einigermaßen unwägbar, was konservatorische Aspekte betraf – eben alles andere als der Gemeinplatz, zu dem es heute in der Kunst geworden ist.

Video statt Öl auf Leinwand? Das schien den meisten Sammlern zu riskant. Die Galerie wurde zwei Jahre nach ihrer Gründung geschlossen. Schum selbst hat den triumphalen Einzug von Video in die Kunst in den Jahren danach nicht mehr erlebt. Er beging 1973 Selbstmord.

Bis 14. März, Kunsthalle Düsseldorf; am 22. Dezember um 22.25 Uhr zeigt 3sat „Kunst auf Sendung – Die Fernsehgalerie Gerry Schum“