: Hollywood im Wüstensand
In der arabischen Welt bedauert kaum einer Saddams Entmachtung und Verhaftung. Doch die demütigenden Bilder verletzen die Gefühle der Araber und schüren Hass
Der Anblick von Saddam Husseins ungepflegtem, von der Flucht gezeichnetem Gesicht, der Anblick eines vor den Augen der Kameras in die Falle gegangenen Tieres, mag die Befürworter des im März dieses Jahres begonnenen Krieges gegen die Iraker mit Freude erfüllt haben. Sie haben möglicherweise sogar Genugtuung empfunden, als sie sahen, wie ein US-Offizier aus Saddam Husseins weit geöffnetem Mund Speichelproben für einen DNA-Test entnommen hat.
Bei vielen Arabern jedoch rufen diese Bilder Gefühle von Scham und Erniedrigung hervor. Einige zweifeln nun sogar an der offiziellen Darstellung der Verhaftung – aus nachvollziehbaren Gründen. Wir kennen schließlich nur die US-Version. Nach so vielen Propagandalügen vor und während des Krieges – warum sollten wir den Amerikanern jetzt vertrauen?
Schauen wir also einmal genau die Bilder an: Neben dem Erdloch, das ein US-Soldat entdeckt, steht eine Palme, die Früchte trägt. Im Irak ist die Saison dafür jedoch Juli oder August. Wurde Saddam also schon im Sommer entdeckt – oder wurde uns nicht sein richtiges Versteck gezeigt? Sein Verhalten bei der Verhaftung erweckt jedenfalls den Eindruck, dass er zuvor betäubt gewesen ist. Solche Beobachtungen geben derzeit Gerüchten und Verschwörungstheorien reichlich Nahrung.
Das bedeutet ganz und gar nicht, dass irgendjemand in der arabischen Welt sich Illusionen über Saddams Unbarmherzigkeit oder Despotismus hingeben würde. Das Gegenteil ist der Fall: Niemand außer Saddams unmittelbaren Angehörigen und Anhängern bedauert die durch den Einmarsch der Amerikaner und Briten herbeigeführte Entmachtung Saddams. Die Mehrheit der irakischen Opposition und die „Durchschnittsiraker“ empfanden nach Jahrzehnten der Unterdrückung ohnehin nur noch Gefühle wie Hass und Bitterkeit für das Saddam-Regime. Nur außerhalb dieser Gruppen und außerhalb des Iraks, hat Saddam noch eine andere, eine symbolische Bedeutung. Und sie wird von den britisch-amerikanischen Koalitionskräften konsequent ignoriert, da sie nur ihr eigenes Ziel vor Augen haben.
Um ihren Einmarsch zu rechtfertigen, hat der Westen sich in eine Dämonisierungs- und Verleumdungskampagne hereingesteigert, die Saddam letztlich als fundamentale Gefahr für den Weltfrieden erscheinen ließ, ja, ihn für gefährlicher als Adolf Hitler oder irgendeinen anderen Diktator vor ihm erklärte. Dieses absurde Porträt Saddams wurde so konsequent verbreitet, dass dem Mann geradezu übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden. Er wurde schließlich zur Inkarnation der Bedrohung.
Eines schien klar: Nur die Entmachtung Saddams oder besser noch sein Tod würden der von ihm verkörperten Katastrophe für die Welt ein Ende machen. Diese Darstellung verbot jede andere mögliche Interpretation, und jeder, der sie in Frage stellte, wurde automatisch als Saddam-Anhänger identifiziert und befand sich damit jenseits der Grenzen einer zivilisierten Auseinandersetzung. Letztlich war es, nachdem eine solche mythologische Figur geschaffen worden war, nur allzu logisch, dass die USA und Großbritannien bei der Ergreifung dieses Monsters triumphieren würden.
Die Araber sehen das jedoch anders. Vielen ist klar, dass Saddam nicht mehr als eine Art Westentaschendiktator war, ein Schlägertyp und Stänkerer von nebenan, der nur die bedrohte, die schwächer waren als er selbst. Die meisten Staaten der Arabischen Liga sahen in der Invasion des Irak in Kuwait nur einen internen Konflikt, der durch arabische Diplomatie ohne Einmischung des Westens, also auch ohne einen Krieg hätte gelöst werden können.
Vom arabischen Standpunkt aus stellte sich die Kuwait-Krise als ein Konflikt nach alter beduinischer Stammestradition dar: ein arabischer Stamm attackiert den anderen, wenn es zu Interessenkonflikten kommt. Diese Stammesfehden wurden häufig so beigelegt, dass andere, unparteiische Stammesoberhäupter eine Vermittlerrolle übernahmen. Möglicherweise hätte der irakisch-kuwaitische Konflikt auf diese Weise nicht gelöst werden können – das werden wir nun nicht mehr erfahren. Genauso einfach ist es, die damalige Bombardierung des Irak damit zu begründen, dass es keine anderen Lösungsmöglichkeiten gegeben habe.
Auch der diesjährige Einmarsch in den Irak war keineswegs zwingend. Niemand in der arabischen Welt hielt diese Invasion vor dem Hintergrund der Argumente der Amerikaner und Briten für gerechtfertigt. Der Trotz, mit dem Saddam der massiven Bedrohung aus dem Westen entgegentrat, trug ihm die Bewunderung vieler Durchschnittsaraber ein. Denn sie erkannten, dass der Irak ein geschwächter, verarmter Staat war – ein Staat auf den Knien, unfähig, den Westen anzugreifen. Der Aggressor war nicht Iraks Herrscher, sondern der Präsident der Vereinigten Staaten.
Für die Palästinenser in den israelisch besetzten Gebieten nahm Saddam einen Sonderstatus ein. Schließlich war er der einzige arabische Herrscher, der mit seinen Raketen Israel angegriffen hatte. Auch wenn die Attacken sich politisch und militärisch als nicht wirksam erwiesen, erfüllten sie doch die Herzen der Israelis mit Schrecken. Für die Palästinenser dagegen waren Saddams Raketen nicht weniger als Balsam für ihre geschundenen Seelen, da sie zermürbt sind durch die jahrzehntelange eiserne Besatzungsherrschaft der Israelis und enttäuscht von der hohlen Rhetorik der arabischen Herrscher, die ihnen nie zu Hilfe kommen.
Darüber hinaus gewährte Saddam palästinensischen Familien, die ihre Männer bei militärischen Aktionen verloren hatten, großzügige Hilfe; palästinensische Flüchtlinge erhielten im Irak Wohnungs- und Ausbildungszuschüsse, und Opfern der Intifada gewährte er in Jordanien ab dem Jahr 2000 großzügige medizinische Unterstützung.
Saddams Gefangennahme ist ein klassisches Hollywooddrama. Für die Koalitionspartner, die aufgrund amerikanischer Antikriegsproteste im eigenen Land unter Rechtfertigungszwang stehen, war es von fundamentaler Bedeutung, diese schäbige Angelegenheit als Triumph zu feiern. Aber für die arabische Seite existiert eine andere Realität. Für sie ist Saddam seit letztem März erledigt. Dabei ist es völlig irrelevant, ob er gefasst oder getötet wurde; wichtig ist, dass der Angriff auf den Irak ungerechtfertigt und völkerrechtswidrig war. Unter dem Vorwand, dass der Irak ein Arsenal von Massenvernichtungswaffen besäße, wurde ein verbrauchter Diktator zu einer Bedrohung für die ganze Welt stilisiert – um den amerikanischen Einfluss in einer erdölreichen Region zu sichern. Es ist beschämend, dass all dies ohne nennenswerten arabischen Widerstand geschehen konnte. Dass Saddam der Welt ohne Rücksicht auf das Empfinden der Araber als erniedrigte, halb entmenschlichte Figur vorgeführt wurde, verstärkt die kollektive Erniedrigung nur noch.
GHADA KARMI
Übersetzung aus dem Englischen von Kerstin Rumpeltes