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Archiv-Artikel

Wenn irische Kinder nicht Mütter sein wollen

Ins Heim gekommen, vergewaltigt, geschwängert – und erst vierzehn: Irland streitet wieder einmal darum, ob eine Minderjährige nach England fahren und abtreiben darf. Der nächste Fall: ein dreizehnjähriges Flüchtlingsmädchen

DUBLIN taz ■ Das Thema Abtreibung lässt sich in Irland einfach nicht unter den Teppich kehren – zum Entsetzen irischer Politiker. Nun ist erneut ein Mädchen nach einer Vergewaltigung schwanger geworden, und die Abtreibungsgegner haben zum Kampf aufgerufen. Die „Pro-Life Campaign“ erwägt gerichtliche Schritte, um dem Mädchen die Ausreise zur Abtreibung nach England zu verwehren. Für die 14-Jährige ist Eile angebracht; sie ist in der 23. Woche schwanger. Abtreibungen sind in Großbritannien nur bis zur 24. Woche gestattet.

Ein ähnlicher Fall hatte 1992 für hitzige Debatten, Demonstrationen und Gegendemonstrationen gesorgt. Einer 14-Jährigen, die vergewaltigt und geschwängert worden war, wurde per Gerichtsbeschluss die Ausreise verwehrt. Das höchste Gericht hob das Urteil schließlich auf: Bei Lebensgefahr für eine Schwangere, und dazu zählten die Richter auch Selbstmordgefahr, sei eine Abtreibung statthaft. Das Mädchen erlitt aber sowieso eine Fehlgeburt. Ihr Vergewaltiger wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt und kam nach zwei Jahren frei. 1999 vergewaltigte er eine 15-Jährige und wurde erneut verurteilt.

Nach dem höchstrichterlichen Urteil wollte Irlands Regierung die Rechtslage mehrmals durch Volksentscheide klären lassen, doch das Volk spielte nicht mit. Zwar wurde das Recht auf Informationen über Abtreibung im Ausland sowie auf Reisefreiheit von der Wählerschaft mit deutlicher Mehrheit bestätigt, doch in der Kernfrage fiel der Regierungsvorschlag durch: Die Frauenorganisationen monierten, dass eine Gesundheitsgefährdung der Schwangeren kein Abtreibungsgrund sein sollte; die selbsternannten Lebensschützer wollten nicht mal akute Lebensgefahr gelten lassen.

So kam es zu keiner gesetzlichen Neuregelung, und es gilt nach wie vor der Richterspruch aus dem Jahre 1992, der freilich nie angewendet worden ist: Demnach wäre Abtreibung in Irland gestattet, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Doch der konservative Ärzteverband hat seinen Mitgliedern mit Berufsverbot gedroht, sollten sie eine Abtreibung vornehmen. Es bleibt also die irische Lösung, die jahrzehntelang funktioniert hat: Täglich fahren durchschnittlich 19 Irinnen mehr oder weniger heimlich in englische Abtreibungskliniken. Aufgrund des größeren logistischen Aufwands und der höheren Kosten für eine Reise nach England liegt der Prozentsatz der Irinnen, die nach der 20. Woche abtreiben, viel höher als bei Britinnen. Dabei spielt das Informationsdefizit eine große Rolle: Nur drei der sechs halbstaatlichen Stellen in Irland, die Schwangere beraten, weisen überhaupt auf die Möglichkeit einer Abtreibung hin.

Beim aktuellen Fall ist die Sache komplizierter. Das Mädchen ist von den Behörden in Pflege genommen worden, weil die Lebensbedingungen bei ihren Eltern unzumutbar waren. Weil es in Irland nicht genügend Heimplätze gibt, schickte das Gesundheitsamt das Mädchen nach England. Dort wurde sie im Heim vergewaltigt und kam schwanger zurück nach Irland. Ihre Eltern fordern nun, sie nicht zum politischen Spielball zu machen und ihr die gewünschte Abtreibung zu gewähren. Die Abtreibungsgegner argumentieren, dass das Gesundheitsamt als Vormund des Mädchens nicht bevollmächtigt sei, zwischen dem Recht auf Reisefreiheit der Schwangeren und dem Recht auf Leben des Ungeborenen zu entscheiden.

Ob die Abtreibungsgegner vor Gericht ziehen, ist noch nicht entschieden. Ein abschlägiges Urteil wäre ein Präzedenzfall, und den wollen sie vermeiden. Es ist keineswegs der erste Fall: Irlands Gesundheitsämter schicken seit Jahren Mädchen in ihrer Obhut zu Abtreibungen nach England. Nur weil es diesmal öffentlich wurde, sind die Abtreibungsgegner aktiv geworden.

In einem anderen Fall, der noch nicht öffentlich geworden ist, geht es um eine 13-jährige Asylbewerberin. Sie ist im Flüchtlingsheim vermutlich von ihrem Vater geschwängert worden, erzählte die Sprecherin einer Frauenorganisation der taz. Das Mädchen hat ein zusätzliches Problem: Reist sie zur Abtreibung nach England, könnte man ihr die Wiedereinreise nach Irland verweigern. Bekommt sie hingegen das Kind, ist es automatisch Ire und verhilft der minderjährigen Mutter und ihren Eltern zum Aufenhaltsrecht.

RALF SOTSCHECK