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Archiv-Artikel

Kinder, zieht euch hart an

Gewinner des Weihnachtsgeschäfts sind Ritter und Burgen. Eine Folge wirtschaftlicher Unsicherheit

von Benno Schirrmeister

Das Weihnachtsgeschäft? „Schon deutlich besser als am ersten Wochenende“, lassen sich die Einzelhandelsvertreter des Nordens zitieren. Klingt nicht nach richtig zufrieden, aber das sagt man nicht, das wäre Negativ-Werbung: Also heißt es jetzt offiziell, man erwarte „den großen Kundenansturm nächste Woche“ – so der Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Nord-Ost, Heinz Kopp gegenüber der deutschen Presseagentur – und rechnet fest damit, das Vorjahresergebnis zu toppen.

Wer auf die Rahmen-Daten schaut, erkennt den Zweckoptimismus: Der gestern erschienene Bloomberg Einzelhandelseinkäuferindex jedenfalls protokolliert unbestechlich enttäuschende Verkäufe im anlaufenden Weihnachtsgeschäft ganz Europas. Zum siebten Mal in Folge sanken die Verkaufszahlen auch im Vergleich zu den Daten des vergangenen Jahres; naja, vielleicht ist Norddeutschland ja die eine großartige Ausnahme.

Dagegen spricht allerdings, was im Weihnachtsgeschäft über die Ladentheke geht: Ausgerechnet Ritter und Burgen führen die Hitliste in Niedersachsen an. Von „Lieferengpässen“ berichtet die dpa hier aus Celle und nimmt’s zum Anlass eine Spontanumfrage in Spielwarenabteilungen zu machen. Und tatsächlich: „Die Playmobil-Ritterburg läuft wie verrückt“ darf sich da ein Fachverkäufer aus Hildesheim äußern, ein anderer mit Arbeitsplatz in Hannover erwähnt, dass die Kunden „besonders von echt aussehenden Ritterfiguren beeindruckt“ wären. Die Frage nach dem Warum bleibt ungestellt.

Die Antwort findet sich auch zu leicht – fast in jedem Lehrbuch der Traumdeutung. Gut, man könnte auch annehmen, dass in Norddeutschland, wo die Dichte an Ruinen und Festungen verglichen etwa mit dem Rheinland dürftig ist, ein gewisser Nachholbedarf besteht. Das würde aber nicht erklären, wieso es gerade in diesem Jahr zum Boom kommt. Da ist die Psychoanalyse hilfreicher. Denn die erkennt in Ritterburgen schon seit jeher Bilder eines befestigten Ich, geschützt gegen die Stürme einer feindlichen Außenwelt, gefeit gegen die sengenden Flammen der Drachen. Ein Ich, das mit dem Ritter in seiner eisenharten Rüstung auch noch mobil wird. Ein symbolisches Spielzeug also, in dem die Kinder ihre Ängste verstauen können.

Sehr sinnvoll also. Nur hieße das: Die Ritter und Burgenkäufer rechnen fest mit verängstigten Geschenk-Empfängern. Oder – was plausibler ist: Sie haben selbst welche – wirtschaftliche nämlich, weshalb sie auch so wenig einkaufen. Und reichen diese an Heiligabend als unsichtbare Schleife auf dem Paket an ihre Kinder weiter, gehüllt in die unausgesprochene Aufforderung, sich fürs kommende Jahr hart anzuziehen. Kommen schließlich schwere Zeiten. Ängstliche Weihnachten? Kein erfreulicher Ausblick.