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Archiv-Artikel

Udos Genuschel im Ohr

Die eigene Karikatur überleben: Udo Lindenberg hat auch das geschafft. Er dankt seinem Körper, alle Exzesse des wilden Künstlerlebens überstanden zu haben, und breitet seine Arme schützend über dem deutschsingenden Nachwuchs aus

Es tut einiges weh an diesem Abend, die Gäste sind schlimmer als Lindenberg selbst

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Dreißig Jahre stehen Udo Lindenberg und sein Panikorchester auf der Bühne. Der letzte Termin ihrer Jubiläumstour aus diesem Anlass führte sie am Sonntag in die Max-Schmeling-Halle. Weil Udo Lindenberg für die deutsche Quote im Radio ist, setzt er sich auch für den Rocknachwuchs ein und besuchte kürzlich das Orwohaus in Berlin, wo Musiker für den Erhalt ihrer Proberäume kämpfen. Die Nachwuchsbands lud er gleich als Vorband seiner Tour ein. Doch auch wer vorsorglich erst kurz vor acht kam, um den Deutschrockvorbands zu entkommen, konnte noch die letzten Lieder von Silbermond vernehmen, der Bautzener Band, die man zurzeit etwa minütlich im Radio hört. Silbermondsongs sind leicht zu erkennen, im Refrain wird die letzte Silbe stets auf etwa einen Kilometer gedehnt: „Si-hin-fo-niiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiie…“. Aber so freute man sich umso mehr auf Udo, das skurrile Fossil.

Udo ist ja nicht nur abgehalfterter Altrocker, sondern irgendwie auch links. Er unterstützt Projekte gegen rechte Gewalt und ist der einzige deutsche Star, der ein wenig Glam und Durchgeknalltheit ausstrahlt. Er mag manchmal peinlich sein, aber er säuft wenigstens, wohnt im Hotel Atlantic in Hamburg und vertritt keine Familienwerte. Er behält seine veraltete 70er-Jahre-Jugendsprache konsequent bei – unser deutscher Ozzy Osbourne.

Mit seiner nuscheligen Kunstsprache, Schlapphut, Frack und Admiralshose hat er als Karikatur seiner selbst überlebt. Udo hat seit 1973 mindestens eine Platte pro Jahr veröffentlicht, die Titel belegen die Wortwitzsucht ihrer Zeit: Rudi Ratlos, Wotan Wahnwitz, Dröhnland Sinfonie Udopia, Götterhämmerung. Er hat in Filmen mitgespielt, Theatermusik gemacht, seine Autobiografie „El Panico“ geschrieben. Seit 1996 malt er auch und mischt die Pigmente seiner Aquarelle mit Likör statt mit Wasser.

1983 trat er im Palast der Republik bei „Künstler für den Frieden“ auf, sprach sich gegen Pershing und SS 20 aus und bekam Auftrittverbot in der DDR. Er schenkte Erich Honecker eine Lederjacke und bekam eine Schalmei zurück, später dann das Bundesverdienstkreuz. Und wenn er heute auch nervt, so hat er doch einmalige Songs wie „Cowboyrocker“ geschrieben. 1973, zur schlimmsten Schlagerzeit, hatte man im Radio noch nie einen solchen Song gehört. Noch nie hatte jemand in deutscher Sprache so lakonisch erzählend über eine Melodie gesungen, die Silben so eigenwillig getrennt. In „Na und?“ geht es darum, wie er sich in einen Jungen verliebt, auch das sang 1976 keiner außer ihm und heute erst recht nicht.

Also Grund genug, sich trotz allem auf den alten Udo ein wenig zu freuen. Er kommt in seinem typischen Lindenberg-Gang – nach eigenen Angaben entwickelt, um alkoholbedingte Schwankungen choreografisch auszugleichen – auf die Bühne und nuschelt erstaunlich verständlich drauf los: In der Panikzentrale in Berlin sei alles unter Kontrolle, eine Panikmaschine versetzte uns jetzt alle in die 70er zurück.

Fortan dokumentiert Udo singend und verschleppt artikulierend eine Diashow über sein Leben, das Panikorchester und das Weltgeschehen. Die Filmeinspielungen sehen so aus wie die Viva-Videos junger Bands: junge Leute mit langem Haar in VW-Bussen, am Strand, in der Clique. Hier immer dabei: der noch sehr junge Otto Waalkes. Aber auch Fidel Castro, Vietnam, Mohammed Ali, Malcolm X, Che Guevara und Willy Brandts Kniefall in Warschau werden kommentiert. Dann singt Stargast Eric Burdon mit Udo, Ben Becker hampelt im weißen Anzug auf der Bühne herum, das „Mädchen aus Ostberlin“ sorgt für Rührung.

Der 80er-Film ist kurz: einstürzende Hochhäuser, Tschernobyl, No Future und Band Aid, Reagan und Gorbatschow. Die 90er-Jahre werden später thematisch durch Desert Storm Love Parade, Rock gegen Rechts und glückliche deutsche Fußballer vertreten. Dazwischen der großer Antikriegsblock: Die kurzen Hosen aus Hamburg singen „Wozu sind Kriege da“, Peter Maffay singt zusammen mit Udo „Sie brauchen keinen Führer“ und bekommt für seinen Kalter-Krieg-Song „Eiszeit“ viel Jubel. Sexy Rockröhre Ellen ten Damme trägt ein sehr kurzes Hemd, ihr Antikriegslied heißt „Plattgefickt“. Darin werden Frauen aufgerufen, ihre Männer auf der Matratze festzuhalten und nicht in den Krieg ziehen zu lassen: „Die einzige Waffe, die ich akzeptier, steht steif und geladen vor mir.“

Es tut einiges weh an diesem Abend, aber die Gäste sind schlimmer als Udo Lindenberg selbst. Der moderiert zweieinhalb Stunden durch, singt seine größten Hits und über 30 Lieder, darunter auch „Mein Body und Ich“, ein Dankeslied an den geschundenen Körper, der so prima überlebt hat. Am Ende sind auch die Zuschauer ganz erschöpft, man wundert sich, wie der doch angeblich stark abgehalfterte Altrocker alles durchgehalten hat, und geht zufrieden mit Andrea Doria und Udos Genuschel im Ohr nach Hause.