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Archiv-Artikel

Chirac für „oben ohne“ an Schulen

Der französische Präsident spricht sich für ein Verbot von religiösen Symbolen im Klassenzimmer aus – und weiß die Mehrheit der Franzosen hinter sich

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Das „provozierende Zur-Schau-Stellen religiöser Symbole“ soll in Frankreich per Gesetz beendet werden. Staatspräsident Jacques Chirac erklärte in seiner gestrigen Ansprache im Pariser Elysée-Palast, Kopftücher, Kippas oder große Kreuze hätten „keinen Platz an öffentlichen Schulen“. Die Trennung von Religion und Staat, die in Frankreich seit 1905 festgeschrieben ist, sei ein Grundpfeiler der französischen Gesellschaft.

Die Religion ist und bleibt in Frankreich also Privatsache, die Glaubensfreiheit ein individuelles Recht. Und die Freiheit des Einzelnen geht in der Republik, wie Chirac in Erinnerung rief, nur so weit, wie sie die Rechte der übrigen Bürger und den Frieden der Gesellschaft nicht in Frage stellt. Der Auftrag an die Regierung lautet nun, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten. Die Verabschiedung im Parlament gilt bereits als sicher. Die Regelung soll zum Schuljahr 2004/2005 in Kraft treten.

Eine neue Behörde solle zudem Diskriminierungen von Einwanderern auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bekämpfen, sagte Chirac. Die „Mauer des Schweigens und der Gleichgültigkeit“ müsse eingerissen werden. Für die öffentlichen Krankenhäuser soll klar geregelt werden, dass männliche Ärzte muslimische Frauen behandeln dürfen. Immer häufiger werde dies vom Ehemann oder dem Bruder verhindert. Auch private Arbeitgeber sollen ostentative Zeichen der Religionszugehörigkeit verbieten dürfen.

Dass es sich beim Streit um das islamische Kopftuch in den öffentlichen Schulen nicht nur „um eine individuelle Gewissensfrage“, sondern „ein Problem für die öffentliche Ordnung“ handele, meint auch eine von Chirac eingesetzte Expertenkommission. Die „Stasi-Kommission“, benannt nach ihrem Ombudsmann Bernard Stasi, hatte sich in den letzten Monaten alle Meinungen und Standpunkte angehört. Vor einer Woche empfahl die Kommission in ihrem Bericht dann ein Verbot des Zeigens von religiösen Symbolen an Schulen.

Untersagt werden im selben Aufwasch auch allzu sichtbare Zeichen politischer Zugehörigkeit. Fällt in Zukunft auch der Che Guevara oder das Greenpeace-Logo auf dem T-Shirt der Trennung von Kirche und Staat zum Opfer? Im Glaubenskrieg um das Kopftuch wurde so ein Nebenschauplatz eröffnet. Vertreter der Schülergewerkschaft Unef-ID befürchten, dass die Kopftuchregelung als Vorwand dienen könnte, um der Jugend einen Maulkorb umzuhängen.

Das ist bei weitem nicht der einzige Punkt, der vor der Verabschiedung eines Kopftuchparagrafen im kommenden Jahr noch geklärt werden muss. Die Stasi-Kommission hatte neben anderen Maßnahmen für eine bessere Integration der minoritären Konfessionen die Schaffung von drei neuen Feiertagen (des jüdischen Jom Kippur, des muslimischen Aïd-al-Kebir und der Weihnacht der orthodoxen Christen) in der Schule angeregt. Diese Idee möchten Chirac und sein Regierungschef Jean-Pierre Raffarin nicht übernehmen. Auf der Tagesordnung steht im Gegenteil die Abschaffung des arbeitsfreien Pfingstmontags, mit der eine bessere Versorgung der Rentner finanziert werden soll.

Auch eine Mehrheit der Franzosen – 59 Prozent – will laut einer Umfrage von Zugeständnissen an die religiöse Empfindlichkeit von Minderheiten nichts wissen. 69 Prozent der Befragten sind zusammen mit Chirac der Auffassung, dass jetzt ein Gesetz für klare Verhältnisse sorgen muss. Die Lehrer und Schuldirektoren sollen so eine klare rechtliche Anweisung erhalten.

Bislang lag ein Kopftuchverbot im Ermessen der Schulleitung. Nach offiziellen Angaben gab es im September 1.256 Mädchen, die mit einem Kopftuch in den Unterricht kamen. Die tatsächliche Zahl dürfte beträchtlich darüber liegen. Laut Innenministerium gab es 20 Streitfälle, 6 Mädchen wurden der Schule verwiesen.

Die Ansprache vor rund 400 Vertretern aus Politik, Konfessionen und Gesellschaft war mit Spannung erwartet worden. Schließlich ist in Frankreich allen bewusst, dass das islamische „Foulard“ (Kopftuch) nur deshalb eine Staatsaffäre geworden ist, weil islamische Fundamentalisten den Konflikt mit der säkulären Republik suchen. Trotzdem soll das Verbot religiöser Symbole in der Schule in keiner Weise als antiislamische Ausnahmeregelung verstanden werden.

Genau so interpretiert aber der Kultusrat der französischen Muslime (CFCM) die Absichten der Stasi-Kommission. In einem Brief an Chirac protestierten die Repräsentanten des CFCM gegen eine „Anprangerung des Islam“. Im Kultusrat, der erst kürzlich auf Initiative der Regierung gebildet wurde, haben die Traditionalisten die Mehrheit. Sie sehen im Schleier ein Gebot des Korans, über das nicht diskutiert werden kann.

Doch sind diese Würdenträger wirklich repräsentativ für die Muslime in Frankreich, die wie die Angehörigen der anderen Konfessionen in ihrer Mehrheit nicht sehr fromm oder praktizierend sind? Inzwischen gibt es auch andere Stimmen. Gerade zahlreiche Immigranten aus dem nordafrikanischen Maghreb oder aus der Türkei – und vor allem deren Töchter – wollen ein Gesetz gegen das Kopftuch. Sie hoffen, sich dadurch dem wachsenden Druck der religiösen Eiferer und der angeblich gottgewollten Diskriminierung der Frauen und Mädchen besser widersetzen zu können.