: Finsterste Zeiten
Warum schasst der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) engagierte Freie? Die Mitarbeiter fordern Erklärungen von der Intendanz – und kriegen keine
Von Hannah Pilarczyk
Um 11 Uhr am Montagmorgen machte sich der 150 Personen starke Tross vom 1. Stock auf in die 13. Etage des „Hauses des Fernsehens“ am Berliner Theodor-Heuss-Platz. Sein Ziel: das Büro von RBB-Intendantin Dagmar Reim, seine Forderung: Antworten darauf, warum „Abendschau“-Moderator Jan Lerch (38) ab nächstem Jahr das Regionalmagazin nicht mehr moderieren darf.
In der morgendlichen Konferenz der „Abendschau“-Redaktion sollte Fernsehchefredakteurin Petra Lidschreiber eigentlich genau diese Antworten geben. Doch sie kamen nicht. Jedenfalls nicht nach Ansicht der anwesenden „Abendschau“-Redakteure und der anderen RBB-Mitarbeiter, die sich aus Solidarität für Lerch auf der Sitzung eingefunden hatten. Daraufhin zogen sie gemeinsam vor den Intendanten-Flügel. Aber auch hier keine Antworten. Reim verließ ihr Büro die gesamte Stunde nicht, in der ihre Mitarbeiter nach ihr riefen. Um 13 Uhr versuchten sie es erneut. Bis zum Redaktionsschluss blieb auch hier jegliches Ergebnis aus. Was nun mit Lerch und allen anderen passiert, die sich wie er für die Rechte der freien Mitarbeiter im Sender engagieren, ist unklarer denn je.
Am Freitagnachmittag teilte Fernsehchefredakteurin Lidschreiber Lerch mit, dass sein Rahmenvertrag als Moderator der „Abendschau“ 2005 nicht verlängert würde. Lerch soll sich bei Dritten negativ über den RBB geäußert haben. Tatsächlicher Auslöser für die überstürzte Aktion ist aber wohl eher der Flyer (siehe links), den die Organisation der freien Mitarbeiter „RBBpro“ letzte Woche im Sender verteilte: eine böse Satire auf Intendantin Reim und ihren Umgang mit freien Mitarbeitern. „Daraufhin hat die Führungsriege die Nerven verloren“, heißt es aus dem Sender. Lerch, der seit zwölf Jahren zunächst für den SFB, dann für den RBB freiberuflich arbeitet, ist seit der Fusion des Berliner SFB mit dem Brandenburger ORB in der Bewegung der freien Mitarbeiter engagiert. Die über 1.700 Freien der neuen ARD-Anstalt gelten allgemein als Hauptverlierer der Fusion: Durch Sparmaßnahmen soll ihre Arbeit stark eingeschränkt werden, obwohl sie das Programm größtenteils genauso wie fest angestellte Redakteure tragen – zum Teil seit Jahrzehnten. Um ihre Rechte zu stärken, formierte sich die Bewegung „RBBpro“, unter den Gründungsmitgliedern: Jan Lerch.
Als Sprecher der Protestbewegung sah sich Lerch nach eigenen Angaben schnell Anfeindungen aus der Führungsriege ausgesetzt. „Aufgrund meiner Gefährdung“, so Lerch in einer über www.rbbpro.de vertriebenen persönlichen Erklärung zu den Umständen seiner De-facto-Entlassung, sei er aber aus dem Sprecherrat ausgeschieden, um sich als Freienvertreter in den Redakteursausschuss – ein offizielles RBB-Organ – wählen zu lassen. Doch der Schutz dieser Institution reichte offensichtlich nicht aus, damit Lerch sein Engagement ungestört weiterführen konnte. Nach Nachrichtenredakteur Jürgen Schäfer, dem im Juli gekündigt wurde, ist Lerch nun das zweite Opfer einer Aktion, die im Sender unter vorgehaltener Hand als „Säuberungsmaßnahme“ bezeichnet wird.
Solch starke Worte finden sich aber nicht nur auf Seiten der Freien. In einem Brief, der der taz vorliegt, schrieb Fernsehchefredakteurin Lidschreiber als Reaktion auf den Flyer, sie fühle sich durch solche Aktionen „an die finsterste Zeiten unserer Geschichte“ erinnert. Offiziell will die Intendantin den Flyer nicht kommentieren. „RBBpro“-Sprecher Christoph Reinhardt hält Lidschreibers Reaktion für unangemessen, den Flyer hingegen für vertretbar: „Wenn sich die Intendanz allen Gesprächen mit RBBpro verweigert, soll sie sich nicht über solche Aktionen wundern.“ Nun ist also wieder Bewegung in die festgefahrenen Fronten gekommen – mit einem Befreiungsschlag auf der einen Seite und einer breiten Mobilisierung auf der anderen.
„Jetzt geht es nicht mehr um feste oder freie Mitarbeiter – jetzt geht es um den Sender“, sagt einer, der mit vor dem Büro der Intendantin stand. Namentlich will er nicht genannt werden – im Klima der Angst, das momentan beim RBB herrscht, befürchten viele, sie müssten als nächste gehen. Diese Sorgen scheinen momentan gerechtfertigt zu sein. Um sie auszuräumen, ist jetzt die Intendanz gefragt. Bislang ist aus ihren Büros aber nichts zu hören.