: Erben des Pragmatismus
Amerikanische Journalisten tun sich schwer mit der Kritik am Irakkrieg. Nicht nur aufgrund der konservativen Hegemonie in den Medien. Es liegt auch an ihrer Selbstverpflichtung zur Neutralität
VON SEBASTIAN MOLL
Griffig war die Headline der New York Times am Tag nach der Gefangennahme Saddam Husseins nicht gerade: „Hussein in improvisiertem Versteck gefangen genommen; Bush sagt, ‚dunkle Ära‘ für Irak sei vorbei.“ Das war eine korrekte Wiedergabe der bekannten Fakten – und vermied so umständlich wie pedantisch jegliche Wertung des Ereignisses.
Wie auch die folgenden 23 Seiten des ersten Buches der Times. Doch eine Einschätzung der innenpolitischen Konsequenzen musste sich der Leser mühsam aus einer Doppelseite im Inneren selbst zusammenbasteln. Links auf Seite 18 war die Bush-Rede zum Thema zu lesen, so wie Kommentare weiterer Regierungsmitglieder, gegenüberliegend eine Sammlung von Stimmen der Opposition. Ein eigener Kommentar fehlte. Allein die Analyse, dass der Kriegsgegner Howard Dean in seinem Wahlkampf wohl geschwächt werde, gab dem Leser einen Anhaltspunkt für den Wandel im politischen Klima des Landes, den die Verhaftung möglicherweise mit sich bringen wird: „Das war ein großer Tag für die Regierung“, konnte sich Dean selbst ein wenig Säuerlichkeit über den PR-Erfolg Bushs nicht verkneifen.
Die Verhaftung Saddams wird allerdings wohl nicht nur ein Rückschlag für die Kampagne Deans sein. Die unsichere Zurückhaltung der Times weist auf einen mindestens ebenso massiven Dämpfer für die Opposition gegen George Bush in den amerikanischen Medien hin, die sich in den vergangenen Wochen gerade erst berappelt hatte. Seit etwa Mitte des Jahres wurden die Fragen in den großen Tageszeitungen nach der Legitimation des Irakkrieges immer lauter, die Kritik an der Ignoranz und Blindheit, mit der Bush in den Krieg gestolpert war, immer bissiger.
Erst Anfang November breitete das New York Times Magazine auf zehn Seiten die Details des Hickhacks zwischen Pentagon und State Department aus, das zum Chaos am Tigris geführt hatte. Noch deutlicher war die Washington Post in ihrer Bush-Skepsis, und mit den beiden maßgeblichen Blättern schwenkte die Stimmung im ganzen Land langsam um.
„Jeder Journalist in den USA liest jeden Morgen die Times und die Post“, erklärt Karen Rothmeyer, Redakteurin bei der linken Nation und ehemalige Reporterin beim Wall Street Journal sowie der Nachrichtenagentur AP, die Pilotfunktion der beiden Blätter. Sogar die Fernsehsender scheuten zuletzt nicht mehr den Vergleich mit Vietnam. Bis Hussein gefangen wurde.
Dass sich mit einem solchen Ereignis die öffentliche Meinung innerhalb eines Tages wieder drehen kann, hatte noch unmittelbar vor der Verhaftung Husseins der Dekan des Fachbereichs Journalismus an der Columbia University, Nicolas Lemann, vorhergesagt: „Alles, was Bush braucht, ist eine gute Woche“, prophezeite Lemann. Die Soziologie des Journalismus, erklärte Lemann solchen Wankelmut, sei in den USA eben eine andere, als man das in Europa gewohnt sei. Kein Blatt, kein Sender und kein Reporter stelle sich in den USA grundsätzlich gegen eine Administration: „Die meisten gehen doch davon aus, dass sie weitere vier Jahre in einem von Bush bestimmten Washington zurechtkommen müssen. Der einzige Grund, dass die Kritik laut wurde, war, dass die Dinge im Irak so offensichtlich schief liefen. Mit echter Opposition hatte das nichts zu tun.“
Ein ehemaliger Politik-Redakteur der New York Times, der nicht genannt werden wollte, drückte die Kritikhemmung amerikanischer Journalisten so aus: „Die amerikanischen Journalisten orientieren sich am Erfolg. Und selbst den ganzen Sommer über fiel die Zustimmung zu Bush in den Umfragen nie unter 55 Prozent.“
Rothmeyer, deren Ehemann britischer Korrespondent ist, erklärt die Psychologie der amerikanischen Reporter mit einem Vergleich: „Amerikanische Journalisten verkörpern in der Regel die patriotischen Werte des Durchschnittsamerikas. Eine elitäre, skeptische Tradition wie in England oder Frankreich gibt es praktisch nicht.“ Nicht zuletzt deshalb gingen Journalisten wie sie, die starke politische Überzeugungen besäßen, früher oder später zu alternativen Medien, wie der Nation, die allerdings kaum mehr als eine obskure Minderheit in den Großstädten bedient: „Man muss sich damit abfinden, als unamerikanisch zu gelten.“
Ein weiterer Grund, warum die amerikanischen Mainstream-Medien für europäische Begriffe so zahnlos sind, liegt in einer fast sklavischen und oft hölzern wirkenden Selbstverpflichtung zur Neutralität: „Es gilt noch immer der hehre Grundsatz, dass Nachrichten gefunden und nicht gemacht werden“, so John Carey, Professor für internationalen Journalismus in Boston. Der Journalist hat in seinem Beitrag niemals selbst in Erscheinung zu treten, er ist immer nur Medium zur Darstellung zweier Seiten in einer Debatte. „Wenn jemand behauptet, die Erde sei rund“, so Carey, „wird eine amerikanischer Journalist immer jemanden suchen, der behauptet, die Erde sei flach.“ Niemand sollte Anspruch auf die Wahrheit anmelden. Ein Erbe des amerikanischen Pragmatismus, das dem Land, so Carey, lange Zeit gute Dienste geleistet habe. Spätestens seit dem Vietnamkrieg sei dieses System allerdings heillos überfordert.
Dennoch wird das System heute nur von der Rechten durchbrochen: Rupert Murdochs Fernsehsender Fox ist ganz unverblümt ein Propagandaarm der Bush-Regierung. „Wahrscheinlich“, so Carey, „wären die übrigen Medien von Anfang an gegen den Irakkrieg gewesen.“ Innerhalb ihres selbst auferlegten Regelwerks könnten sie dies jedoch nur äußern, wenn sie einen Gewährsmann finden konnten.
Erst der Kampagnenstart der demokratischen Kandidaten habe eine offenere Opposition gegen Bushs Politik erlaubt: Die Reporter konnten sich hinter Dean und Wesley Clark verstecken. Auf die Idee, unabhängige Experten zu befragen, kamen nur die wenigsten der politischen Journalisten. „Jeder Professor für internationale Politik hätte jedem Reporter erklärt, wie gefährlich ein Irakkrieg ist“, so Nicolas Lemann. „Aber das Klima unter den Journalisten ist leider ausgesprochen intellektuellenfeindlich.“
Mit der Saddam-Verhaftung ist nun das Hauptsprachrohr der zur Kritik geneigten Presse, Howard Dean, selbst in Argumentationsnot geraten. Sein Wahlkampf muss sich, ebenso wie die Medien, neu sortieren. Dass sie sich bis zur Wahl zu massiver Kritik an Bush wird wieder aufschwingen können, ist unwahrscheinlich: „Im Vietnamkrieg hat es bis zur Tet-Offensive 1968 gedauert, bis die Skepsis in Wut umschlug“, erinnert sich Nat Henthoff von der linken Village Voice aus New York. „Da waren wir schon vier Jahre dort und 30.000 amerikanische Soldaten waren gestorben.“ Außerdem, so Henthoff, sei Lyndon B. Johnson ein ausgesprochener Unsympath gewesen. Aus irgendwelchen Gründen besitze Bush hingegen für viele Amerikaner Charisma – Journalisten eingeschlossen.