Brasiliens Arbeiterpartei rückt zur Mitte

Mit Parteiausschlüssen reagiert die Führung von Lateinamerikas größter Linkspartei auf Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung Lula. Gleichzeitig versucht sie, die PT durch unpolitische Beitrittswerbung zur Massenpartei zu machen

PORTO ALEGRE taz ■ Die brasilianische Arbeiterpartei PT werde eine „schreckliche Botschaft“ an Gleichgesinnte in aller Welt aussenden, warnte Noam Chomsky, der Globalisierungskritiker aus Boston. Für den Befreiungstheologen Leonardo Boff, der sich bislang jede öffentliche Kritik an der Regierung Lula verkniffen hatte, steht die „politische Identität“ von Lateinamerikas größter Linkspartei auf dem Spiel: Durch eine autoritäre Ausgrenzung der „kritischen Masse“ drohe sie dem Mittelmaß anheimzufallen.

Umsonst: Nun gipfelten monatelange Debatten, Proteste und Solidaritätskundgebungen im angekündigten Rauswurf vier linker PT-ParlamentarierInnen. In einem Nobelhotel von Brasília stimmten 55 von 82 Präsidiumsmitgliedern für den Parteiausschluss der Senatorin Heloísa Helena sowie der Abgeordneten Luciana Genro, João Batista Araújo („Babá“) und João Fontes.

Vehementer als die meisten ihrer Genossen hatten die DissidentInnen die Wirtschaftspolitik der Regierung Lula kritisiert. Vor allem die letzte Woche vom Senat abgesegnete Rentenreform geißelten sie als Kotau vor dem Internationalen Währungsfonds.

Lulas Festhalten an neoliberalen Rezepten macht vor allem dem linken Flügel zu schaffen, dem jeder dritte Parlamentarier angehört. Doch bei den Abstimmungen im Kongress stimmten nur die vier jetzt Verstoßenen gegen die Regierung. Acht Abgeordnete, die sich enthielten, kamen mit Disziplinarstrafen davon.

Dass die Unzufriedenheit der Abweichler nur die Spitze eines Eisbergs ist, weiß auch Parteichef José Genoino. Das Ausschlussverfahren sei für die PT „traumatisch“ gewesen, sagt Genoino, aber zugleich „notwendig“: „Als Partei brauchen wir Einheit in der Aktion, bei aller Meinungsvielfalt und dem Recht auf Kritik.“ Cristovam Buarque, ebenfalls Exponent des Mehrheitsflügels, räumt immerhin ein, die Regierung könne einen Irrweg eingeschlagen haben: Löse sie ihre Wahlversprechen nicht ein, meint der Bildungsminister, könnten die Dissidenten „vor der Geschichte“ sogar Recht behalten.

Hinter der Trennung von den vier „Radikalen“ verbirgt sich ein prinzipielles Problem: Den Weg in die Mitte des politischen Spektrums, den Lula schon seit langem geht, soll die PT ohne nennenswerte innerparteiliche Debatten nachvollziehen. Was im Wahlkampf 2002 nicht unbedingt von Nachteil war, erweist sich jetzt als Bumerang: das Fehlen eines politischen Projekts.

Doch nicht daran arbeiten die Parteistrategen, sondern am Aufbau einer ganz konventionellen Massenpartei. Durch eine bewusst unpolitisch gehaltene Werbekampagne stieg die Zahl der PT-Mitglieder von Juni bis Oktober um 30 Prozent. Überläufer aus konservativen Parteien werden mit offenen Armen aufgenommen.

„New PT“, lästert Dissident Babá, der zusammen mit Luciana Genro und João Fontes über die Gründung einer „antikapitalistischen“ Linkspartei nachdenkt. GERHARD DILGER