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Archiv-Artikel

Ein neoliberales Märchen

betr.: „Der feste Job stärkt Geist und Körper“, taz vom 4. 12. 04

„Für die Gesundheit sind selbst Ein-Euro-Jobs hilfreich.“

Abgesehen von der Tagesstruktur, die tatsächlich für die Gesundheit förderlich sein kann, verschleiert diese Annahme, dass Ein-Euro-Jobs innerhalb eines Zwangskontextes stattfinden und daher nicht mit einem festen Arbeitsplatz vergleichbar sind. Welchen sozialen Status verleiht denn ein Ein-Euro-Job? Den Status des „arbeitsunwilligen Arbeitslosen“ der zur Arbeit durch die Drohung mit der Kürzung von Sozialleistungen gezwungen werden muss? Den Status des „unfähigen“ oder „unnützen“ Arbeitslosen, der der Gesellschaft auf der Tasche liegt und für den daher irgendwie eine Tätigkeit gefunden werden muss, die der „Gesellschaft“ etwas nützt? Solche Zuschreibungen sind innerhalb des derzeitigen gesellschaftlichen Klimas durchaus zu erwarten und werden sich wohl kaum positiv auf Status und Gesundheit auswirken. Wird derjenige der für einen Euro im Herbst Laub auf dem Friedhof zusammenrecht tatsächlich das Gefühl haben, dass er seinen Tag sinnvoll füllt, oder wird er nicht eher den Eindruck haben, dass er gering geschätzte Tätigkeiten zu erledigen hat, die auch entsprechend gering bezahlt werden? Denn, wenn die Tätigkeiten im Rahmen von Ein-Euro-Jobs so sinnhaft sind, wieso werden sie dann nicht entsprechend honoriert?

Die Erfahrung, einen Ein-Euro-Job annehmen zu müssen, kann somit zu einer Verminderung oder dem Verlust der Selbstwirksamkeitsüberzeugung führen, welche insbesondere für die seelische Gesundheit von erheblicher Bedeutung ist. Dass sich die Ein-Euro-Jobs positiv auf die Gesundheit auswirken, scheint mir daher angesichts einer Gesellschaft, die Verantwortung und Risiken individualisiert und Teilhabe ohne Arbeitsplatz nur bedingt ermöglicht, nur ein weiteres neoliberales Märchen zu sein.

MARTINA BRAUCHLER, Ludwigshafen

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