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Archiv-Artikel

Zumutung für das Kölner Modell

Politiker diskutieren mit Behörden- und Kirchenvertretern sowie Initiativen über Arbeitsmarktreform und neue Zumutbarkeitsregeln. Die bislang hoch gelobten JobBörsen der Stadt stehen auf der Kippe

VON SEBASTIAN SEDLMAYR

Die Reform der Großen Koalition aus Regierung und Opposition in Berlin wird auch den Arbeitsmarkt in Köln verändern. Nach der gestrigen Entscheidung im Bundestag sollen ab 2005 erwerbsfähige Arbeitslose dazu gezwungen werden, jeden legalen Job anzunehmen. Weigern sie sich, werden ihnen die Mittel gestrichen. Wer künftig länger als zwei Jahre arbeitslos ist, bezieht das „Arbeitslosengeld 2“, rutscht nach einer Übergangsfrist auf Sozialhilfeniveau ab.

Nach Angaben des Sozialamts werden etwa 42.000 Kölnerinnen und Kölner künftig Arbeitslosengeld 2 erhalten. Der Basissatz beträgt 345 Euro. „Ich erlebe es nach 13 Jahren Zusammenarbeit mit Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern zum ersten Mal, dass die Leute wirklich Angst um ihre Existenz haben“, sagt Thomas Münch vom Kölner Arbeitslosenzentrum KALZ.

Entsprechend voll war am Donnerstagabend der Saal des Internationalen Zentrums in der Kölner Altstadt. „Wie hart(z) wird der Kölner Arbeitsmarkt?“ fragten die Veranstalter einer Diskussionsrunde: das Sozialwerk des Evangelischen Stadtkirchenverbandes Köln und der Katholikenausschuss in der Stadt Köln sowie die Kölner Freiwilligen Agentur und das KALZ. Auf dem Podium standen Politiker, Amtsleiter, Arbeitslose und Vertreter von Initiativen.

Zwei Mädchen aus dem Kalker Jugendbüro hatten einen Weihnachtsbaum mit Wunschzetteln mitgebracht. Die Geste sollte vor allem die anwesenden Politiker Barbara Steffens (Grüne), Rolf Mützenich (SPD), Ursula Heinen (CDU) und den Leiter des Kölner Arbeitsamtes Peter Welters gütig stimmen. Denn das Kalker Jugendbüro muss wegen mangelnder Förderung schließen.

Der kleine Bestechungsversuch wird den Kalkern wohl ebenso wenig nutzen wie vielen anderen Stadtteil- und Jobinitiativen in Köln. Seit die Landesregierung die Kürzung der Fördermittel auf die Agenda gesetzt hat, fahren die Vermittlungsstellen in den Kommunen ihre Leistungen zurück. „Das Land diskutiert und wir kündigen“, sagte Bodo Schmidt von der Jugendwerkstatt Klettenberg. Andere Einrichtungen trifft es noch härter als die Klettenberger: Zum 31. März sollen die „Lindenthaler Dienste“ schließen, Mitte des Jahres die „Holweider Selbsthilfe“.

Sozialamtsleiter Stephan Santelmann setzte sich für den Erhalt des bislang von Stadt und Land geförderten Kölner Modells der JobCenter und JobBörsen ein. „Wir fordern als Kommune ein Mitspracherecht, eine gemeinsame Steuerung und gemeinsames Controlling“, sagte Santelmann. Im Jahr 2002 haben die 24 JobBörsen mit ihren rund 100 Mitarbeitern laut Sozialamt 3.800 Langzeitarbeitslose beraten und rund 1.000 von ihnen in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt vermittelt. Auch beim Arbeitsamt sind die JobBörsen anerkannt. Roswitha Stock vom Arbeitsamt Köln-Mülheim sagt: „Es ist ein unschätzbarer Vorteil, dass sie vor Ort und bei den Arbeitgebern bekannt sind.“

Ob das Modell wie bislang fortgeführt wird, steht noch nicht fest. Nach der gestrigen Reform im Bundestag können die Kommunen wählen, ob sie die Maßnahmen bezahlen wollen oder nicht. Die CDU-Bundstagsabgeordnete Heinen mahnte die Stadt Köln, sie solle sich wegen der Kosten gut überlegen, ob sie die Trägerschaft übernimmt.

Außer der Kürzung von Mitteln für diejenigen Stellen, die seit Jahren erfolgreich in der lokalen Arbeitsplatzvermittlung tätig sind, stieß vor allem die Verschärfung der „Zumutbarkeitsregeln“ auf heftige Kritik beim Publikum. Eine Arbeitslose erklärte: „Die Zumutbarkeit ist doch längst überschritten!“ Pfarrer Uwe Beck fasste nach der Diskussion zusammen: „Ich habe nicht verstanden, warum die Zumutbarkeitsregeln verschärft werden, wenn damit keine Arbeitsplätze geschaffen werden.“

Trotzdem verteidigte der Bundestagsabgeordnete Mützenich die Reformen. „Ich muss es in der Gesamtschau sehen“, sagte Mützenich. „Das sind Notgesetze, die verhindern, dass in zwei Jahren das System zusammenbricht.“