: Nordische Stollenkunden
Es gibt durchaus eine Reihe von Gründen, warum Süddeutsche sich auf den Weg gen Norden begeben sollten, um weihnachtliches Backwerk gleich palettenweise zu erstehen
VON OKE GÖTTLICH
Vielerlei Dinge können das Weihnachtsfest zu einem Desaster verkommen lassen. Man betrachte dies beispielhaft am guten deutschen Christstollen. Mal ganz abgesehen davon, ob er als Marzipan-, Pistazien-, Butter-, Rosinen- oder Dresdner Stollen angeboten wird, sollten die wesentlichen Merkmale des Gewürz-Gebäcks im Sinne eines frohen Weihnachtsfestes beachtet werden. Und dazu zählen nicht nur Aussehen und Geschmack, sondern ebenso sehr Textur, Geruch und Höhe der Puderzuckerauflage. Verstehen Sie das bitte nicht falsch, aber sollte niemand Wert auf diese wirklich wichtigen Dinge im Trubel des Festalltags legen, gäbe es an Heiligabend wohl nur noch Fleischfondue.
An dieser Stelle sei der Zeit ausdrücklich dafür gedankt, sich in ihrem Leben diesem Sittenverfall zu widmen, um gestressten Weihnachtskonsumenten die ersten Christstollen-Charts zu präsentieren. 15 Laibe Stollen auf dem Prüfstand, und schon klingelt es an der Wohnungstür: Gäste aus dem Badener Land. Eigentlich zum Besuch eines Fußballspiels nach Hamburg gereist, wurde der Zweck des Aufenthaltes kurzerhand um eine Christstollen-Shoppingtour ergänzt.
Starkoch Wolfram Siebeck und seine vierköpfige Jury waren Schuld dran, dass es so kam. Mussten sie unter die im Schnitt pro Kilo 15 Euro teuren Stollen ausgerechnet das Wefa-Brot aus Würselen wählen. Auf Rang fünf platzierte sich das 2,39 Euro pro Kilo teure Backwerk locker einen Platz vor dem – zumindest preislich betrachtet – FC Bayern unter den Stollen, der läppische 20,57 Euro pro Kilo kostet. Kein Wunder, dass Anhängern des SC Freiburg da das Herz schneller schlägt, obwohl der Testsieger – sogar das Dresdner Stollenmädchen gab ihm neidlos 4, 4, 3 und 4 Punkte für Aussehen, Textur, Geruch und Geschmack – aus der Conditorei Café Burger aus Lahr (in der Nähe Freiburgs!) stammt.
Doch 16 Euro pro Kilo ließen keinen Zweifel daran, dass letztlich die Würselener Nummer fünf die wahre Nummer Eins bei den Badenern sein würde. Das Tragische daran war nur, dass besagter Butter Stollen nur in Filialen von Aldi-Nord zum Verkauf angeboten wird. Erstmals machten sich Freiburger auf die Suche nach einem Supermarkt auf der nördlichen Aldi-Halbkugel (die Grenze verläuft durch Nordrhein-Westfalen, Hessen sowie an der Grenze zwischen Bayern und Thüringen – nur in wenigen Postleitzahlenbereichen gibt es beide Aldis). Da half auch die Notiz des Experten Wolfram Siebeck („Puderzucker zu dick“) nichts. Vor dem Fußball war Aldi angesagt, zumal das alljährliche „Wichteln“, hierzulande „Julklapp“ genannt, in der Heimat stattfinden sollte und die Geschenke einen Wert von fünf Euro nicht überschreiten durften. „Das sind dann ja gleich zwei Stollen auf einmal“, wurde schnell festgestellt, um dann eine ganze Palette einzupacken.
Mit acht Christstollen im Gepäck wird der Vorrat wohl bis zum nächsten Auswärtsspiel der Freiburger in Hamburg dauern. Und wenn nicht, dann gibt es zuvor noch ein Spiel in Bremen.
Der Butter Stollen, Aldi Nord, 750 Gramm für 1,79 Euro, hat schon 2002 den „Großen Preis“ der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft erhalten