: Konzeptionelle Defizite
Alle reden von einer neuen Politik, vom fehlenden Geld und über die Kulturhauptstadt. Aber die Schieflagen sind viel abschüssiger – und grundsätzlicher. Ein Diskussionsbeitrag von Thomas Frey, Kulturreferent der Arbeitnehmerkammer
Die Bewerbung Bremens als Kulturhauptstadt Europas 2010 ist im Grundsatz eine überzeugende Idee und von herausragender Bedeutung. Ausgangspunkt der Kandidatur ist die prinzipiell richtige Überlegung, dass sich eine Stadt mit dem Projekt Kulturhauptstadt wichtige Impulse für ihre Entwicklung geben kann: Die eigenen kreativen Potenziale können gestärkt, der Stellenwert von Kultur kann erhöht und die überregionale Aufmerksamkeit gesteigert werden. Die Kulturszene kann sich Entwicklungsperspektiven erschließen und neue – europäische – Ansprüche an sich stellen.
Die herausragende sanierungspolitische Bedeutung der Bewerbung Bremens liegt in der Neuakzentuierung der Sanierungsanstrengungen. Der Senat sieht mittlerweile in den Ausgaben für Kunst, Kultur und Bildung eine Zukunftsinvestition und nimmt somit, was die „weichen“ Standortfaktoren angeht, eine Neubestimmung der Sanierungspolitik vor. Damit ist allerdings die Konsequenz verbunden, zusätzliche Gelder für eine Umstrukturierung und Modernisierung im Kulturbereich zur Verfügung zu stellen.
Um es vorweg zu nehmen: Den positiven Entwicklungen stehen – leider – Unklarheiten, Inkonsequenzen und grundsätzliche Fehlorientierungen gegenüber. Somit werden mehrere Schieflagen hervorgerufen, die alle zwischenzeitlich erreichten Erfolge zunichte zu machen drohen. Sie setzen sich in den konzeptionellen und strukturellen Defiziten der politischen Führung im Kulturbereich fort. In der Summe führen die genannten Schieflagen zu einer prekären Situation, die Bremens Kultur und die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2010 gefährden.
Bremen ist bereit, große finanzielle Anstrengungen für die Bewerbung zu unternehmen und will dafür 10,5 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Gleichzeitig soll am Kulturhaushalt nochmals gespart werden. Zu guter Letzt weist der gegenwärtige Haushaltsansatz, bei Erhaltung des aktuellen Niveaus der kulturellen Vielfalt, für das Jahr 2004 etwa zwei Mio. Euro und für das Jahr 2005 nochmals sechs Mio. Euro Unterfinanzierung auf. Eine Sparquote dieser Größenordnung stellt wertvolle Teile des kulturellen Angebots in Frage und wird fast zwangsläufig das zerstören, was im Papier „Baustelle Kulturhauptstadt“ (Martin Heller) als die besondere Qualität beschrieben wird.
Grundsätzlich sind von den Sparauflagen alle Kultureinrichtungen betroffen. Bei der Umsetzung der Sparbeschlüsse werden nach allen Erfahrungen aber vor allem die nichtstaatlichen Einrichtungen und frei-gemeinnützigen Akteure existenzbedrohend leiden. Aufgrund ihrer geringen Finanzausstattung sind sie nicht in der Lage, die Streichungen zu kompensieren. Aber auch die großen Kultureinrichtungen würden in relativ kurzer Zeit in große Schwierigkeiten kommen.
Aber Bremen ginge noch mehr verloren. Es stünde nämlich nicht nur das ökonomische Überleben der Kulturszene zur Disposition, sondern auch das bürgerschaftliche Engagement und „soziale Kapital“. Zugleich ist auch damit zu rechnen, dass durch Arbeitsplatzabbau und die mittelbare Schwächung der Strategie zur Aktivierung von finanziellen Ressourcen Dritter zusätzlich kontraproduktive ökonomische Effekte eintreten werden. Die weitere Kürzung des Kulturhaushaltes zerstört immer mehr von dem, was eine herausragende Bedeutung für die Stadt hat: Investitionen in Modelle und Angebote der kulturellen Bildung, in die Gewinnung neuer Bevölkerungsgruppen als NutzerInnen von Kulturangeboten und in das interkulturelle Lernen. Das kann sich keine Stadt leisten, die sich als Kulturhauptstadt bewerben will und dabei auf das Engagement nichtstaatlicher Akteure setzt.
Im Ergebnis dieser Sparpolitik stünde Bremen vor der Situation, dass die Regelfinanzierung des kulturellen städtischen Lebens, die Dichte und Vielfalt des kulturellen Angebots sowie die möglichst viele soziale Milieus einbeziehende Kulturförderung auf ein unerträgliches Niveau abgesenkt werden würde. Der „kulturelle Humus“ der Stadt würde abgetragen werden, der aber andererseits Grundlage dafür ist, eine Kulturstadt sein zu wollen und zu können. Übrig bliebe bei einem solchen Verfahren nur der Teil der Kultur in Bremen, der unmittelbaren Nutzen für die Bewerbung generiert – in einem sehr kurzfristig und auf ein punktuelles Ereignis im Jahre 2010 bezogenen Sinne. Außerdem bekämen Kriterien, die eine europäische Perspektive und den überregionalen Attraktivitätsgedanken in den Vordergrund rücken, einen überproportionalen Stellenwert. Die Stadt-Kultur würde an den Rand gedrängt werden. Es ist paradox, einerseits den Kulturhaushalt zu kürzen, sich aber andererseits als europäische Kulturhauptstadt zu bewerben.
Ein Blick in die weitere Zukunft lässt mehr als nur Zweifel aufkommen. Bremen würde vor einem kulturpolitischen Debakel stehen: Sind in absehbarer Zukunft die Bewerbung und im Jahr 2010 das Kulturhauptstadt-Jahr vorbei, entfielen auch die Mittel, die nur für dieses Ereignis vorgesehen waren. Bremen fiele auf ein stark ausgedünntes Niveau zurück. Übrig blieben einige Infrastrukturmaßnahmen, aber der Regelbetrieb der großen und kleinen Einrichtungen würde großen Schaden nehmen. Mehr noch: Die kulturelle Versorgung der Bevölkerung, die Ausgewogenheit in der Förderung der unterschiedlichen sozialen Milieus der Stadt, die Sicherung und der Ausbaus eines kulturellen Variantenreichtums befände sich im Jahre 2011 auf einem schlechteren Niveau als heute. Von „Nachhaltigkeit“ und „Breite des Angebots“ als Basis für besondere Leistungen in Einzelbereichen, von „Kontinuität“ über größere Zeiträume, oder von „Förderstrategien auf lange Sicht“ könnte dann nicht mehr gesprochen werden.
Ein weiteres grundlegendes Problem macht sich an diesem Mangel fest: Kultur kann nur dann seine Potenziale entfalten, wenn die Freiheit der Kunst gewährleistet wird. Zwar steht die künstlerische Freiheit in Bremen nicht in Frage, aber: Jede Verknüpfung von Kunst und Kultur mit standort-, wirtschafts- und fiskalpolitischen Strategien kann nur dann ohne Qualitätsverlust gelingen, wenn der Eigenwert der Kunst und Kultur unaufhebbare Voraussetzung dieses Prozesses des Aufeinander-zu-gehens bleibt. Gegenwärtig läuft die Argumentation vielmehr darauf hinaus, Kunst und Kultur einem rohen Verständnis von Standortpolitik wirtschaftlicher Prägung zu unterwerfen. Dieser falschen Strategie steht nach wie vor eine Chance gegenüber: Kultur kann im standort- und wirtschaftspolitischen Sinne dann einen Beitrag zur Sanierung leisten, wenn man nach Verknüpfungen mit anderen politischen Strategien sucht. Das Spannungsverhältnis ist das Spannende, nicht die stromlinienförmige Zurichtung der Kultur.
Immer deutlicher wird gegenwärtig, dass mit Begriffen wie „Modernisierung“ oder „Umbau“ nicht kulturpolitische Kontexte charakterisiert werden sollen. Sie sind eindeutig dem Spektrum ökonomisch-betriebswirtschaftlicher Sichtweisen der Sanierungspolitik entlehnt. In ihnen firmiert Kultur nicht als ein eigenen Werten und Regeln folgender Teil, sondern als „ein Instrument“. Folglich spricht der Senat nicht mehr vom „Eigenwert der Kultur“, sondern nur noch von der Umsetzung der strategischen Sanierungsziele.
Die in Aussicht gestellten Gelder in Höhe von 10,5 Mio. Euro lassen sich jedoch unter kulturpolitischen Gesichtspunkten nur sinnvoll investieren, wenn die konkurrierenden Interessen ihre jeweilige Wirkung entfalten können und sich der politischen Diskussion stellen. Die Gelder allein dem Interesse einer Kulturhauptstadt-Bewerbung, der Standortsicherung unter wirtschaftlichen Vorzeichen oder der Fortsetzung des Status quo unterzuordnen, würde in der Konsequenz mehr Schaden als Nutzen für die Stadt bringen.
In die Kultur muss regelmäßig investiert werden, damit sie sich erneuern und modernisieren kann. Zugleich muss der notwendige Regelbetrieb des kulturellen Angebots endlich ausfinanziert werden. Zum anderen muss für das Projekt Kulturhauptstadt eine Sonderfinanzierung über einen Zeitraum von etwa sieben Jahren angespart werden, die zusätzlich die Realisierung der besonderen kulturellen Ziele einer Kulturhauptstadt ermöglicht. Schließlich muss auch die Formulierung „Bündelung aller Ressourcen“ neu interpretiert werden. Dies würde vor allem beinhalten, dass umgehend alle kulturrelevanten Geldquellen an einer Stelle konzentriert und alle Ressourcen dazu genutzt werden, einer kulturpolitischen Gesamtstrategie auch finanzielle Schubkraft zu geben.
Es ist schon kurios: Bremen hat mittlerweile zwar ein elaboriertes Controlling mit zusätzlichem Personal und einem üppig entwickelten Instrumentarium – allein, es fehlt den Verantwortlichen an einer kulturpolitischen Konzeption. Die Steuerung kann ihre Möglichkeiten nur dann sinnvoll entfalten, wenn gleichzeitig eine Balance mit der kulturpolitischen und konzeptionell-fachlichen Ebene des Modells hergestellt wird. Es wäre illusorisch anzunehmen, die einseitige Ausrichtung auf quantifizierbare Größen und das Controlling entsprechender Finanzdaten reiche aus, qualifizierte urbane Kulturpolitik zu betreiben. Dazu bedarf es zum einen eines Konzepts im Sinne eines Master-Plans.
Zum anderen braucht es eine inhaltlich-fachlichen Organisation, die sich auf Fragen der Kulturplanung und -entwicklung sowie der politischen Steuerung konzentriert. Eine fachliche Ebene beziehungsweise deren Akteure müssen an den zentralen Stellen der politischen Entscheidungsfindung einbezogen werden.
Der öffentlich wahrnehmbare Zustand der Kulturverwaltung und der Ressortspitze gibt nicht zu erkennen, dass man Willens und in der Lage wäre, eine Balance zwischen Controlling, kulturpolitischer Master-Steuerung, Schwerpunktsetzung und konzeptioneller Steuerung herzustellen. Eine Kulturkonzeption liegt seit Jahren nicht vor und konzeptionelle Antworten auf die vielen Fragen der Zukunft reduzieren sich seit fast zehn Jahren in der Regel auf Strategien der Haushaltsarithmetik oder der Umsetzung von Sparbeschlüssen.
Dies sind Ziele, die eben nicht identisch sind mit einer urbanen Kulturpolitik, die vor und nach der Kulturhauptstadt für eine verantwortungsbewusste Kulturentwicklungspolitik für die Stadt Bremen und ihre BürgerInnen stehen müsste. Eine gemeinsame Schnittmenge mit der Bewerbung als Kulturhauptstadt ist zwar vorhanden, müsste jedoch exakt beschrieben werden, um nicht zu einem Allgemeinplatz zu werden.
Dem müsste sich die Frage anschließen, was unabhängig von der Kulturhauptstadtbewerbung für die Stadt weiterhin wichtig ist. Auch hierzu liegt kein zusammenhängendes Konzept vor. In dieser Frage gibt es ein Vakuum in das das Projekt Kulturhauptstadt 2010 geschoben wird.
Die daraus entstehende Schieflage schadet nicht zuletzt der Bewerbung Bremens als Kulturhauptstadt: Martin Heller spricht immer wieder von der Verzahnung von Kulturhauptstadt und städtischer Kulturpolitik. Doch wenn dem einen Zahnrad die konzeptionellen Zähne fehlen, kann auch nichts ineinander greifen. Dies ist der Fall, wenn die Bewerbungskonzeption zugleich in die städtische Kulturkonzeption schlechthin umgedeutet wird. Und genau dies zeichnet sich zurzeit leider immer deutlicher ab.
Die Arbeitnehmerkammer vertritt die Auffassung, dass fünf Neuorientierungen vorzunehmen sind, wenn man die Kultur der Stadt und die Bewerbung Bremens als Kulturhauptstadt erfolgreich vorantreiben will:
Der Kulturhaushalt muss in den Stand versetzt werden, den Status quo der bremischen Kulturszene finanziell halten zu können. Auf der Basis eines kulturpolitischen Master-Plans mit nachvollziehbaren Schwerpunktsetzungen müssen Entwicklungsperspektiven in qualitativer und quantitativer Hinsicht eröffnet werden. Diese werden durch Nachhaltigkeit und Steigerung der kulturellen Lebensqualität der BremerInnen legitimiert. Dies schließt auch mögliche Veränderungen gegenüber der zurzeit bestehenden Förderstruktur und -politik ein.
Für den Zeitraum der Bewerbung, der Planung und Durchführung des Projektes Kulturhauptstadt Bremen 2010 sollten die Entwicklungspotenziale, die den Kriterien „überregionale Ausstrahlung“, „EU-Tauglichkeit des Bremer Kulturangebots“ genügen und größere infrastrukturelle Maßnahmen durch einen Sondertopf „Kulturhauptstadt“ finanziell abgesichert werden.
Alle finanziellen Ressourcen zur Förderung der Kultur und der Bewerbung als Kulturhauptstadt müssen durch ein einziges Entscheidungsverfahren auf der städtischen Steuerungsebene zusammengefasst und parlamentarisch kontrolliert bewirtschaftet werden.
Die Verzahnung der unterschiedlichen, aber mit gemeinsamen Schnittmengen versehenen Politikbereiche „urbane Kulturpolitik“ und „Kulturhauptstadt“ muss auf Basis einer Definition ihrer Gemeinsamkeiten entwickelt und in den jeweiligen Kulturbereichen realisiert werden.
Die Verwaltungsreform muss endlich vollzogen werden! Damit ist insbesondere der Wiederaufbau einer voll funktionsfähigen, konzeptionell-fachlich qualifizierten Verwaltung gemeint und die Ausbalancierung der Befugnisse, Kompetenzen und Handlungsfähigkeit des Steuerungsdreiecks Politik-Controlling-Fachverwaltung.