Ein Dutzend mit gutem Gewissen

Sechs rote und sechs grüne Bundestagsabgeordnete stimmten gestern gegen die Zumutbarkeitsregel für Arbeitslose. Von Attac bekommen sie dafür Zustimmung, Parteifreunde jedoch sind sauer und fordern für die Zukunft, das „Gewissen in der Fraktion rotieren zu lassen“

BERLIN taz ■ Für die einen sind sie Abtrünnige, die dem Kanzler das Regieren schwer machen. Für die anderen sind sie die letzten echten Demokraten. An den zwölf Politikern von SPD und Grünen, die gestern dagegen stimmten, dass Arbeitslose jeden Job annehmen müssen, scheiden sich die Geister. Die Globalisierungskritiker von Attac loben ihr Votum als Signal, „dass Abgeordnete nicht alles mit sich machen lassen“. Bei den Kollegen im Bundestag kommt das Nein der Zwölf dagegen weniger gut an.

„Das kotzt mich an“, sagt die Grüne Christine Scheel. „Unsere Helden wieder!“ Scheel lässt ihrer Wut über die Neinsager freien Lauf, die eine eigene Mehrheit für Rot-Grün verhindert haben. Die Finanzexpertin nennt es „unfair“, dass sich einige das Recht herausnehmen, nach ihrer Überzeugung zu stimmen, während die anderen die Regierungsdisziplin einhalten, obwohl sie die Zumutbarkeitsregel auch schlecht finden. Sarkastisch schlägt Scheel vor: „Wir sollten das mit dem Gewissen in der Fraktion mal rotieren lassen.“

Müssen die zwölf Neinsager also ein schlechtes Gewissen haben, weil sie ihrem Gewissen folgten? Immerhin haben sie der Opposition eine Vorlage geliefert, über die „mangelnde Regierungsfähigkeit“ des Kanzlers zu lästern.

Peter Hettlich sieht keinen Grund, sich zu entschuldigen. Die aufgeregten Diskussionen um die eigene Mehrheit hält er für „totalen Quatsch“. Der grüne Abgeordnete aus Sachsen hat zum ersten Mal bei einer wichtigen Abstimmung gegen die Regierung votiert. Hettlich gehört nicht zu den üblichen Verdächtigen, denen so was leicht fällt.

Er ist kein prominenter linker Flügelkämpfer wie Christian Ströbele, der es gewöhnt ist, als „Abweichler“ beschimpft zu werden. Ströbele verteidigt sich mit dem Argument, er habe schon im September in der Fraktion gegen die Verschärfungen der Hartz-Gesetze gekämpft. Wenn er jetzt an einem Punkt dagegen stimme, sei das „kein Misstrauensvotum gegen den Kanzler“, sondern einfach konsequent.

Auch Hettlich hat sich seine Entscheidung lange überlegt – und sich dann eine schlichte Erklärung dafür zurechtgelegt: „Bei der Zumutbarkeit hört für mich die Zumutbarkeit auf.“ Punkt.

Auf Hettlich ist kein Kollege richtig böse, weil man ihm glaubt: „Wenn der Kanzler wirklich eine eigene Mehrheit braucht, stehen wir wie eine Eins.“ Bei anderen ist man sich da nicht so sicher. Bei Werner Schulz zum Beispiel. Schulz ist einer, der die Kollegen gern provoziert. „Ich bin nicht der I-Punkt auf einem Honecker-Ergebnis“, hat Schulz, der frühere DDR-Bürgerrechtler, in der Fraktionssitzung gesagt und wütenden Protest geerntet.

Schulz gehört inzwischen zu den Hardlinern. So wie Ottmar Schreiner von der SPD. Auch dieser begnügt sich nicht mit einem Nein. Was er von der Kanzler-Agenda hält, sollen alle sehen. Während Gerhard Schröders Rede klatscht er kein einziges Mal. Der Sprecher der SPD-Arbeitnehmer sitzt mit verschränkten Armen in der vorletzten Reihe. Ganz links außen, gleich neben den zwei Frauen von der PDS.

LUKAS WALLRAFF