: Fremdes Leben begreifen
Großer Ernst, rührende Facetten und tragisches Ende: Hermann Schulz‘ Jugendbuch „Zurück nach Kilimatinde“ erzählt von einer bizarren Vater-Sohn-Beziehung
Nein, dies ist nicht einfach ein sentimentales Jugendbuch. Auch keins, dass – getarnt mit einer Alibi-Story – klammheimlich romantische Fern-Sehnsüchte befriedigt, auch wenn das Löwen-Cover dies suggeriert. Hermann Schulz‘ jüngst erschienener, zutiefst anrührender Jugendroman Zurück nach Kilimatinde widmet sich mit großem Ernst der Beziehung zwischen Vater und Sohn sowie den sich darum herum rankenden Familienverhältnissen.
Als Kleinkind hat der 16-jährige Protagonist Nick mit Mutter und Schwestern Tansania verlassen – und seinen Vater, den Missionar. Über die Trennung und den folgenden Rauswurf des Vaters aus der Missionsgesellschaft kursieren nur Gerüchte. Rund 13 Jahre ist das jetzt her, Nick hatte seither höchst sporadisch Briefkontakt zum Vater. Und dann tritt plötzlich ein Freund seines Vaters an Nick heran: Er solle zum Vater reisen, der – das ahnt der Fremde –, Hilfe braucht.
Nick tut wie ihm geheißen und findet einen schwer depressiven, schwierigen Charakter im Dorf Kilimatinde vor. Ein Fremder ist dieser Vater, dem sich der Sohn nur mühsam nähert. Erst wäscht er den Apathischen, ringt nächtelang mit ihm, beginnt fremdes Leben und Scheitern zu begreifen.
Doch das ist nur die eine Hälfte der Geschichte. Religiöse Selbstgerechtigkeit, Strenge mit sich und anderen und von der Zeit tragisch überholter Idealismus kennzeichnen die Vita des Alternden, der viel zu spät erst begreift, wie er Prioritäten in seinem Leben anders hätte setzen können. Eine klassische Katharsis-Situation also, die der Autor hier konstruiert und die sich einer holzschnittartigen Charakterzeichnung verweigert.
Denn auch der Sohn wächst im Laufe dieser Begegnung über sich hinaus und versöhnt sich mit dem kantigen Vater, der ihm am Ende dann auch noch zumutet, Zeuge seines selbst gewählten Sterbens zu werden. „Verzeih mir, dass ich dir den Schmerz nicht ersparen konnte. Aber ich bin ein schwacher Mensch und wollte den Trost deiner Anwesenheit“, schreibt er in seinem Abschiedsbrief. „Er konnte erst Abschied nehmen, als du gekommen bist. Darum hat er gebetet“, bestätigt Abraham, der Nachbar und Freund des Vaters. Eine anrührende Facette, die aus der Geschichte eine relevante Episode über einfühlsame Sterbebegleitung macht. PETRA SCHELLEN
Hermann Schulz: Zurück nach Kilimatinde. Hamburg: Carlsen-Verlag 2003; 236 S., 14,50 Euro