: Der Osten bleibt skeptisch
Der Volksbeglückungskompromiss von Bundestag und Bundesrat löst in Ostdeutschland keine Euphorie aus, sondern Erinnerungen an die DDR. Über sinkende Steuern freut man sich erst, wenn die Folgen der Sozialkürzungen absehbar sind
AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH
Spontanumfragen in Ostdeutschland nach dem großen Volksbeglückungskompromiss, den Bundestag und Bundesrat vergangenen Freitag beschlossen, zeigen stets ähnliche Ergebnisse. Zu oft ist den Beitretern schon der Weihnachtsmann versprochen worden. Deswegen macht sich nun keine Euphorie darüber breit, dass ab 1. Januar Steuern und Subventionen sinken und Arbeitslose bestimmte Jobangebote nicht mehr als unzumutbar ablehnen können.
Die Thüringer Allgemeine fand nur wenige, die im nächsten Jahr tatsächlich bereit sind, mehr Geld als bisher auszugeben. Der Tenor: „Erst mal abwarten!“ Die Angst, für Arztbesuche, wegen der gekürzten Eigenheimzulage oder als Folge der gekappten und für ostdeutsche Arbeitssuchende so wichtigen Pendlerpauschale mehr investieren zu müssen, überdecken Erwartungen an die Steuersenkungen. „Was der Staat in die linke Tasche steckt, nimmt er aus der rechten wieder heraus“, sagte Frank Kunze von der IG BAU in Sachsen.
Privatgespräche drehen sich selten um die Details der Agenda 2010, mit der die Bundesregierung Deutschland in Bewegung setzen will. In den Mittelpunkt drängen prinzipielle Fragen der Zukunftsgestaltung – so war es auch, als die schleichende Agonie der DDR begann. Es geht um Verunsicherung. Anders als damals wird aber diesmal über Alternativen heftig gestritten. Denn ein gelobtes Land gleich nebenan, dem man beitreten könnte, gibt es nicht mehr.
Der sächsische DGB-Vorsitzende Hanjo Lucassen sprach von einem „faulen Kompromiss“ zu Lasten der ArbeitnehmerInnen. 100.000 Beschäftigte in Sachsen würden durch die Beschlüsse von Freitag ihren Kündigungsschutz verlieren. Lucassen sitzt für die SPD im Dresdner Landtag. Sein Fraktionsvorsitzender Thomas Jurk sagt zu den gleichfalls verabschiedeten Zumutbarkeitsregeln grundsätzlich Ja, fordert aber ein Mindestlohngesetz, um die Folgen der nunmehr nach unten offenen Lohnskala beim Arbeitszwang für Langzeitarbeitslose zu mildern. Die PDS lehnt die Beschlüsse der großen Koalition von SPD, CDU, Grünen und FDP ab. Die PDS forderte daher von der Landesregierung, das Reformpaket im Bundesrat abzulehnen. „Mäuse, die uns einreden wollen, Elefanten zu sein, haben gekreißt und Berge wurden geboren – ein neuer Berg Schulden und ein Berg neuer Sorgen“, sagte Fraktionschef Peter Porsch.
Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hat dem Paket im Bundesrat dennoch zugestimmt. Er sah für die Landesfinanzen unterm Strich eine „schwarze Null“ – trotz Einnahmeverlusten für sein Land durch die für die Bürger gesenkten Steuern. Sachsen erhält 800 Millionen Netto-Kompensation für die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, das hat ihn versöhnt.
In den Sozialämtern sächsischer Städte und Landkreise ist man in der Tat skeptisch. Denn schon jetzt müssen „Ich-AGs“ vielfach ergänzende Sozialhilfe beantragen. Gabriele Krysiak, die im Weißeritzkreis das Sozialamt leitet, rechnet vor, dass nur etwa ein Viertel ihrer 3.900 Sozialhilfeempfänger als arbeitsfähig gilt. Auch von diesen erwartet sie ab 2005 viele wieder als „Kunden“, weil Dumpinglöhne um die 3 bis 4 Euro je Stunde ihren Empfängern nicht zum Leben reichen.
Wirtschaftlich erwartet Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) bestenfalls „ein paar höhere Umsätze im Handel“. Sein Dresdner Kollege Milbradt witzelt über den Konjunktureffekt von 0,2 Prozent Wachstum: „Die Steuerreform, die gar keine ist, bringt so viel wie der 29. Februar im Schaltjahr 2004.“