Beschwerde übers Beschwerdeverfahren

Der Rundfunkrat von Radio Bremen debattiert heute über ein neues Beschwerdeverfahren: Wer am Programm Kritik üben will, soll das künftig zuerst beim Intendanten tun. „Da wird ja der Bock zum Gärtner gemacht“, formiert sich erster Protest

bremen taz ■ Im Rundfunkrat von Radio Bremen dürfte es heute spannend werden. Radio Bremen-Intendant Heinz Glässgen nämlich will Beschwerden über das Programm künftig erstinstanzlich selbst abhelfen. Nur wenn der Beschwerdeführer mit der Antwort des obersten Radio Bremen-Muftis nicht einverstanden ist, soll er sich an den Rundfunkrat wenden können – der sich in seinen Ausschüssen Fernsehen und Rundfunk bislang mit solcher Kritik befasste. Schon ist die vorgeschlagene Änderung des Beschwerdeverfahrens in der Kritik.

„Der Bock – pardon Herr Glässgen – möchte Gärtner werden.“ So fasst das Grüne Rundfunkratsmitglied Hermann Kuhn seine Sicht auf die geplante Neuerung zusammen. Er werde die Zustimmung zur Änderung der Radio Bremen-Satzung verweigern. „Die gesellschaftliche Aufsicht und Kontrolle des unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ – für die der aus Interessengruppen, Verbänden und Parteien nach Proporz bestückte Rundfunkrat steht – sei „eben eine Konstruktion der eigenen Art“. Nach dem Radio Bremen-Gesetz sei der Intendant insgesamt verantwortlich für das Programm – und somit als Unparteiischer nicht geeignet.

Auch das SPD-Rundfunkratsmitglied Carsten Sieling wittert Unbill: „Es darf auf keinen Fall zu einer Beeinträchtigung der Rechte der Ausschüsse und des Rundfunkrates kommen.“ Vorgänge wie die kritische Debatte um die Bildungsurlaube „gereichen dem Rundfunkrat und Radio Bremen zur Ehre“ offenbart er, was viele Rundfunkratsmitglieder für den eigentlichen Anstoß zur Änderungsdebatte halten.

Im September hatte der über 20-köpfige Fernsehausschuss von Radio Bremen über den polemischen Gehalt eines Berichts des Regionalmagazins buten un binnen kontrovers debattiert. Die Positionen waren klar verteilt: Gegen eine Rüge waren die Verantwortungsträger der Sendeanstalt. Dafür war das gesamte Spektrum der von der Bürgerschaft gewählten Rundfunkratsmitglieder – Arbeitnehmer, Arbeitgeber, CDU und Grüne gaben der Beschwerde einvernehmlich statt. Der Beitrag sei „polemisch und habe die Emotionen zum Thema Bildungsurlaub weiter gesteigert, anstatt sich um Aufklärung zu bemühen“, schrieb schließlich der Rundfunkrats-Vorsitzende, Reinhard Metz, CDU, an das beschwerdeführende Evangelische Bildungswerk. „Ohne Problembewusstsein“, seien die Programmverantwortlichen erschienen, ärgern sich bis heute Rundfunkratsmitglieder, von denen das eine oder andere jedoch manchem gewerkschaftlichen oder kirchlichen Bildungsurlaubsträger nahe steht.

Dort hatte der Beitrag über Bildungsurlaubsthemen wie „schlafende Kraniche“ und „Bäume, die sich kratzen“ – statt über „Schichtarbeit und Stressbewältigung“ oder „Lebensqualität Gesundheit“ – vor einer Bürgerschaftsdebatte zum Fortbestand des Bildungsurlaubs Sorgen ausgelöst. Die Sicht der Sendeverantwortlichen, man habe mit einem zugespitzten Beitrag dem Studiogespräch mit Bildungssenator Willi Lemke „die richtige Würze“ geben wollen, sei weder beim Zuschauer noch beim Fernsehausschuss angekommen, schrieb Metz. Es war die erste Rüge seit Jahren, der der Ausschuss zustimmte. Wenn die nun geplante Änderung beschlossen wird, dürfte es auch die letzte für eine lange Zeit gewesen sein – ohne dass dies Rückschlüsse auf die gesetzlich festgeschriebene Ausgewogenheit zuließe, fürchten Kritiker. Dass dies der Praxis anderer Sender entspreche, beeindruckt sie wenig. ede