: „Dann haben wir gar nichts mehr“
Das Jugendzentrum Esch wird im kommenden Jahr seine Türen schließen. Dass die Politik ausgerechnet an ihnen spart, macht die Jugendlichen wütend. Aber wie sie sich gegen die Schließung ihres „Wohnzimmers“ wehren sollen, wissen sie noch nicht
VON CLAUDIA LEHNEN
Sie haben sich zurückgelehnt. Entspannt fläzen sie auf den Sofapolstern. Und man muss Thomas, Marcel, Natascha, Sam, Michael, Sebastian und Janine nur einmal kurz ansehen und es ist klar, dass das hier ihr Sofa ist. Es ist nicht irgendein bequemes Sofa in einem Jugendzentrum, auf dem man einfach nur sitzt. Es könnte auch unbequem sein und trotzdem wären sie hier, im abgewetzten Plüsch versunken, zu Hause. Gnadenfrist bis März
Seit Jahren kommen die Jugendlichen in die Offene Tür Esch. Sie verbringen hier jeden Abend. Hier haben sie ihre ersten Platten gehört, ihre erste Liebe gefunden, zum ersten Mal erlebt, wie es riecht, wenn man erwachsen wird. Schon ihre Eltern waren hier. „Und meine Tante“, „und Onkel Micky“, rufen sie durcheinander.
Gnadenfrist bis März
Im nächsten Jahr wäre die OT Esch, in einem Keller der Schulturnhalle versteckt, dreißig Jahre alt geworden. Ihren Geburtstag wird sie nicht mehr feiern können. Wie fünf weitere Jugendeinrichtungen im Kölner Stadtgebiet fällt auch die OT Esch den Kürzungen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit zum Opfer: Wegen des Kölner Sparhaushalts wird sie im kommenden Jahr ihre Pforten schließen.
„Wir sind ab 4. Januar wieder für euch da“, steht an der Glastür. Es hört sich wie ein Versprechen und ein Versprecher zugleich an. Schließlich sollte das heute der letzte Abend sein für die Jugendlichen und der letzte Arbeitstag für Andre Ruetz, den Leiter der OT Esch.
Nun gibt es doch noch eine Gnadenfrist für den Jugendtreff, in dem „sogar schon de Höhner gespielt haben“, wie Sebastian, eingemummelt in seinen riesigen FC-Schal, stolz betont. Bis zum 26. März wird Natascha noch ein paar Mal bei dem Spiel „Wahrheit oder Pflicht“ verlieren und wieder eine Woche Gläser spülen müssen, Sam wird noch des öfteren heißes Kerzenwachs in seine Hand gießen und Andre weis machen, dass das Sperma sei. Sie werden noch so manchen Abend bei hauseigenen Konzerten für eine Cola Karten abreißen. Janine wird noch das ein oder andere Mal damit drohen, demjenigen eine Gabel vor den Kopf zu hauen, der ihre Kochkünste nicht zu schätzen weiß.
Vielleicht werden sie an Tagen, an denen die OT geschlossen hat, noch einmal eine Hütte bauen. Hinten auf dem Sportplatz, mit einer Bank, die sie von der Turnhalle abmontieren und am nächsten Tag brav zurückbringen. So wie sie das immer gemacht haben. Jahrelang. Dass die Jugendeinrichtung noch drei Monate länger geöffnet hat als geplant, ist dem Engagement von Andre Ruetz und seinen „Kids“, wie er sie nennt, zu verdanken. Für ein paar Stunden am Tag hat der 32 Jahre alte Pädagoge die Räume an einen Elternverein vermietet. Außerdem verdient die OT Esch durch regelmäßige Konzerte. „Durch diese vielen Einnahmen habe ich es geschafft, dass die Einrichtung noch drei Monate länger leben wird“, sagt Ruetz und die Art, wie er dabei die Augen niederschlägt, zeigt, dass er darauf durchaus stolz ist.
Drei Monate, das ist für die 14- bis 17-Jährigen eine lange Zeit. Lange Zeit, um über „Familie, Lust und Leidenschaft“ zu sprechen, um ein bisschen „abzuhängen“ und manchmal gerade soviel Unsinn zu machen, dass Andre ihnen nicht wirklich böse sein kann. Aber es ist auch eine lange Zeit, um zu hoffen. Darauf, dass die Politiker noch zur Räson kommen und – statt ihnen ihr Zuhause zu nehmen – bei „Militarismus und Aufrüstung“ sparen. Dafür, dass ihr „Wohnzimmer“ bald schließen soll, haben sie nur ein Wort, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: „Scheiße“. Es kommt fast synchron aus den sieben Mündern. Dass man ihnen ihren Ort wegnehmen will, ist nicht einfach nur schade. Dass zu sagen, käme ihnen vor, als würde jemand Sams zu Berge stehende Haartracht als adrett bezeichnen. Alles muss schon irgendwie angemessen sein, darin sind sie sich einig.
Zu wenig „Scheiß gebaut“
Wenn ihnen jetzt ihre OT genommen wird, „dann haben wir gar nichts mehr“, sagt der 16-jährige Marcel. Kein Café, kein Dach überm Kopf, keinen wie Andre, der sie „richtig erzieht“. Wie sie darauf reagieren sollen, dass an ihrer Zukunft gespart wird, darüber herrscht noch Dissens in der Gruppe. „Wir wollen Briefe schreiben mit ganz vielen Unterschriften“, sagt Natascha. „Wir stellen uns vors Rathaus und randalieren“, schlägt Sam vor und lächelt verzweifelt. „Scheiße bauen“ scheint eine Möglichkeit zu sein, Aufmerksamkeit zu bekommen. Irgendwie haben Sam und seine Kumpels das dumpfe Gefühl, dass sie für etwas bestraft werden, was eigentlich belohnt werden müsste: Sie waren offenbar viel zu anständig.