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Archiv-Artikel

Auf Brille im Tunnel

Danach kommt einem der Potsdamer Platz komisch vor: Die große Schwarzlicht-Ausstellung „Fluidum“ in einem ungenutzten U-Bahn-Tunnel beglückt mit psychedelischer Kunst, wie man sie sonst nur auf Goa-Raves im Brandenburgischen findet

Alles was weiß ist, leuchtet ganz hell. Die Schuppen auf der Schulter zum Beispiel

VON DETLEF KUHLBRODT

Die Bahnhofseingangshalle des U- und S-Bahnhofs Potsdamer Platz wirkt etwas überdimensioniert. Am Wochenende verlieren sich hier die Menschen und die Geräusche der Skater scheppern zwei Rolltreppen weiter unten durch die Hallen. Vieles was hier geplant worden ist, steht leer vor sich hin. Der Tunnel etwa, durch den irgendwann einmal die U 3 fahren soll, um den Potsdamer Platz mit dem Alexanderplatz zu verbinden.

Seit Oktober gastiert in diesem Tunnel eine Schwarzlichtausstellung namens „Fluidum“. Eigentlich hatte sie schon vor ein paar Wochen zu Ende sein sollen, wurde jedoch gerade wegen großen Erfolgs noch bis Silvester verlängert. 37 Künstler, viele aus dem Deko-Umfeld der Psy-Trance und Goa-Szene, sind beteiligt. Sie haben die riesigen, lang gezogenen Räume in eine zuweilen übertrieben bunte, seltsame Fantasylandschaft verwandelt, die vor allem durch den atmosphärischen Gegensatz zum Potsdamer-Platz-Bahnhof beeindruckt. Draußen die helle Unwirtlichkeit der Bahnhofshallen, drinnen Alice im Wunderland. Eine Landschaft, wie man sie aus dem Sommer von ländlichen Goapartys im Brandenburgischen her kennt. Bisschen orientalische Märchenwelt, bisschen Jahrmarkt. Nur eben drinnen. Und ausführlicher, ausgeklügelter, mit Räumen auch, in denen die auf Partys ja oft namenlosen Dekoleute und Künstler viel von dem präsentieren, was so unter psychedelischer oder auch Schwarzlichtkunst läuft. Schwarzlicht ist das Licht, das die Dinge zum Leuchten bringt. Eigentlich ist es in den Räumen eher dunkel, doch alles, was auch nur annähernd weiß ist, leuchtet ganz hell. Die Knöpfe an dem abgerockten Hemd, das man gerade anhat, oder auch die Schuppen auf der Schulter.

Bis in den Abend gibt’s Ambient im Hintergrund, an Wochenenden Goa-, bzw. Psy-Trance-Partys. Ziemlich laute Percussions und schön hallend in der Nacht. Magic Mike, einer der sechs Veranstalter, führt uns zu seinem Lieblingsplatz. In der bürgerlichen Realwelt heißt er Michael Somann und hat ein kleines Schwarzlichtgeschäft am Südstern. Sein Lieblingsplatz, am einen Ende des Tunnels, am Gleisbett vorbei, in dem verspielte bunte Dinge sind, erinnert an eine Strandbar. Natürlich gibt’s Chai (Tee). Magic Mike erzählt gerne. Davon, wie schön es doch ist, dass die Gebilde, die auf Open Airs nur ein Wochenende überdauern, hier auch mal länger stehen können. Weil die Künstler in der Goa-Szene ansonsten als Letzte auf ihre Kosten kämen, hätte man diese Ausstellung gemacht. „Fluidum“ funktioniere als Ausstellung besser denn als Party und der Ambientsound sei der „Schlüssel zum Publikum“.

Man habe viel Stammpublikum. Unterschiedlichste Leute kämen auch zufällig hier vorbei. Omas zum Beispiel oder Schüler nach dem Unterricht, die sich dann unter komisch sich drehende Kunstwerke legen und darauf starren, als handle es sich um eine Playstation. „Ganz normale Leute“ halt, die die „Freizügigkeit des Ortes“ genießen und auf Liegestühlen, Sesseln oder Teppichen entspannen.

Am Eingang kann man sich auch 3-D-Brillen kaufen, die Magic Mike aus den USA mitgebracht hat. Auf Brille wirken die Gebilde und Bilder noch seltsamer. Erschreckt über die veränderte Wirklichkeit nehmen manche die Brille gleich wieder ab. „So was haben sie noch nie gesehen.“ Eingeweihte dagegen fühlen sich an LSD-Effekte erinnert, zumindest von der Optik.

Es gibt nicht nur Goa. An diesem Samstag feierten sie eine Party mit Radio Multikulti; letzten Samstag gab’s eine Zusammenarbeit mit der russischen „Big Brother“-Sendung. Die russischen Container stehen in Hellersdorf und die Einwohner müssen in die Stadt ausschwärmen und irgendwie Geld anschaffen. Auf der Russenparty Schwarzlichttunnel gab’s Body-Painting und den Live-Stream im Internet hätten sich 50.000 Menschen in Moskau angeschaut.

Die eher abstrakten Dinge von „Solarplexus“ sehen ganz schön aus. Der Künstler „der Träumer“ arbeitet mit Superheldencomicelementen. Manche meditieren, andere sind nackt. Auf Brille springen einem Schamlippen entgegen. Zwei Weihnachstbäume sehen sehr psychedelisch aus. Die Leute vom „Analavory-Deko-Projekt“ leben eigentlich auf Madagaskar und sind nun wieder hier wegen Schulpflichtzwang. Im endlosen Tunnel fühlt man sich wie in einem Science-Fiction-Film und es wird einem ganz blümerant zwischen den bunt leuchtenden Gebilden. Vielleicht ist es auch zu effektvoll. Aber doch prima. Gerade am Potsdamer Platz, der einem nach zwei Stunden im Fantasyland sehr seltsam vorkommt.

Schwarzlichtausstellung „Fluidum“ in Berlin, U 3-Tunnel am Potsdamer Platz. Täglich von 14–22 Uhr geöffnet, samstags und sonntags ab 12 Uhr; 3 Euro Eintritt. Donnerstags ab 18 Uhr: Ambient- and Chill-out-Konzert bis 2 Uhr nachts. Freitags: Psytrance