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Archiv-Artikel

Wohlige Vanitas

Wir sind alle Auslaufmodelle, und wer wüsste das besser als Thomas Kapielski? „Weltgunst“ heißt sein neues Buch

Vom Universaldilettanten über die Jahre zum Universalgelehrten gereift, gibt der Berliner Dichter, Fotograf, Musiker, Maler, Professor, Geo-, Theo- und Philologe Thomas Kapielski in einer weiteren Preziose des Merve Verlags namens „Weltgunst“ subjektive Einblicke in den Weltenlauf zwischen 2002 und 2004. Der Titel des daumendicken Werks lugt allerdings nur deswegen so tapfer positiv in die äußere Welt, weil der erwünschte „Weltschmerz“ schon vergeben war. Durchaus könnte das Buch seinen festen Platz im Hotelzimmer neben der Bibel finden. Bietet es doch dem erschöpften Reisenden, der ungefragt in dieses neue Jahrtausend geworfen wurde und der – sitzt er auch noch so fest in seinem Fernsehsessel – nicht in ihm heimisch werden will, aphoristische Orientierung.

Oder zumindest Trost – „Warum? Soll sein, was ist, wenn ist, was nicht sein soll? Kann werden, was war, weil war, was nicht sein konnte? Darum!“ – und Seelsorge: „Der Sinn des Lebens. Kann ja wohl sinnvoller Weise nicht die Lebenssinnsuche sein.“ Und auch Hoffnung, vergegenwärtigt man sich den Kapielski’schen Engel, der an des Trübsinnigen Bettstatt trat und ihm befahl, unverzüglich vierzehn Halbe trinken zu gehen, worauf alles gut ward. Obwohl: „Das Problem bleibt: Warum es überhaupt Nichts nicht gibt und viel mehr Mehr als nötig.“

Die langen Geschichten von einst fehlen. Sie sind zwischen den Zeilen oder im Ungeschriebenen zu lesen, sagt der Autor. Dafür gibt es Miniaturen zu entdecken, die vor Schönheit, Exklusivität und sprachlichem Genie betören. Niemand sonst kann das Banalste aus den unbeachteten Ecken des Alltags so barock und aberwitzig ans Sonnenlicht erheben, auf dass es in engster Nähe zum Erhabenen zu funkeln und zu schimmern beginnt. Keiner kann so fein- und grobgeistig finden, denken und kombinieren, so künstlerisch trinken und in trotzigem Selbstzweifel auf die Kacke hauen wie Kapielski.

Hie und da entfällt ihm beim Hobeln gegen die allgegenwärtige Dumpfheit schon mal der eine oder andere gegrantelte Span, den aufzuheben nicht zu lohnen scheint. Der verschwindet dann in der hinteren Hosentasche. Aber wie der Dichter selbst verkündet: „Das Famose glänzt doch umso mehr, als es sich von Blödsinn umstellt und geschmückt sieht.“

Öfters als bei seinen früheren Büchern bleibt dem geneigten Leser, der einen gewissen Abstand zu den Bräuchen und Hypes der Gegenwart sein Eigen nennt, aus Selbsterkenntnis und Wehmut das Lachen im Halse stecken. Schon lange verloren gegangen ist die Heimat, die zuverlässige Obhut des alten Westberlin. Verschwunden das leichte, anarchistische Lebensgefühl der Langzeitstudenten, die von den Siebzigern bis in die Neunziger andauernde ewige Jugend, die alimentierte Narrenfreiheit der Künstler. Und Künstler war damals irgendwie irgendwann mal jeder. Nachts waren alle Affen blau. Heutzutage würde manch einer die „Gunst der Entfremdung“ der Dauerkonfrontation mit der eigenen Überflüssigkeit und Privatheit und aufziehendem Nihilismus vorziehen.

Was zumindest sicher bleibt, ist der Triumph der Entropie – finalmente. Wir sind alle Auslaufmodelle, und wer wüsste das besser als Kapielski?

Und bald wieder wird einem vor lauter Vanitas, schlechter Laune, Niedergang und Werteverfall ganz wohlig zumute. So wie die Ewigkeitsmaschine in Zürich, die für eine Umdrehung 166-mal mehr Zeit benötigt, als das gesamte Weltalter besteht, mit der Vergänglichkeit versöhnt, entfalten die Kapielski’schen Betrachtungen des Ist-Zustands eine kathartische Wirkung. Gereinigt lässt man sich in den wonnigen Zustand des Wu-Wei sinken, den Zumutungen des Zeitgeistes fürs Erste entrückt, dem süßen Nichts entgegen. Au weia!

Joseph von Eichendorff reimte in seinem „Morgengebet“:

„Und buhlt mein Lied, auf Weltgunst lauernd, / Um schnöden Sold der Eitelkeit: / Zerschlag mein Saitenspiel, und schauernd / Schweig ich vor dir in Ewigkeit.“

Kürzlich gab es in Berlin ein Fest zum neuen Buch. Im immer gleichen Habitus des auf Gedeih und Verderb ausgelieferten Angestellten las der Autor versunken im fahlgrünen Sessel aus seinem Buch und schmetterte zum guten Schluss ein superexistenzialistisches „My Way“ ins entzückte Publikum.

In Kapielskis Kosmos ist viel Platz. Deswegen nötigen wir dem Dichter eine angemessene Dosis des laut Eichendorff so verabscheuungswürdigen Applauses auf, auch in der Annahme, dass er diesem nicht ganz so abhold wie jener ist. Geschwiegen soll aber bitte auch in Zukunft nicht werden! EDITH SIEPMANN

Thomas Kapielski: „Weltgunst“. Merve Verlag, Berlin 2004, 180 Seiten, 13,80 €