Italiens unerschrockene Staatsanwältin

Ilda Boccassini ließ sich von Silvio Berlusconi nicht einschüchtern und brachte den Ministerpräsidenten vor Gericht

Starke Worte hatte Silvio Berlusconi für Ilda Boccassini, als er vor einigen Monaten auf einer Kundgebung das zehnjährige Bestehen seiner Partei Forza Italia feierte: Die Boccassini gehöre zu jenen Staatsanwälten, an die sich die „Nachwelt mit Horror erinnern“ werde, zu jener „Bürokratie in Roben, die Gewalt statt Justiz gebraucht“, die „hassenswerter als der Faschismus“ sei. Berlusconis Zorn hat gute Gründe, denn Boccassini gelang, woran niemand geglaubt hatte: Sie brachte Italiens Ministerpräsidenten nicht nur in Mailand vor Gericht, sondern den Prozess auch zu Ende.

Alles hatte Berlusconi versucht, um das Verfahren abzuwürgen, seit 1996 der Vorwurf erhoben wurde, er habe Richter geschmiert, um seinen Firmen Vorteile zu verschaffen. Seit Jahren überziehen Berlusconis Medien Boccassini mit einer Kampagne, beschimpfen die „rote Ilda“ als Jakobinerin, als Stalinistin. Seit Jahren überziehen Berlusconis Anwälte sie mit Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs und „Fälschung von Beweisen“. Der Berlusconi-treue Justizminister schikanierte sie mit Disziplinarverfahren, Versetzungsdrohungen und Kontrollbesuchen. Und Berlusconis Parlamentsmehrheit versuchte, die Prozesse per Gesetz einzustellen.

Es hat alles nichts genützt – und das liegt vor allem an Boccassini. Die 55-jährige Neapolitanerin mit dem flammend roten Schopf gilt als einer der härtesten Knochen, als eine der gründlichsten Arbeiterinnen der italienischen Justiz. Interviews gibt sie nicht – sie meint, Staatsanwälte sprechen allein durch ihre Akten. Die ihren hatten es schon immer in sich. Seit Ende der 70er-Jahre arbeitete sie bei der Staatsanwaltschaft Mailand und war schnell im Ermittlerpool Organisiertes Verbrechen. Sie lernte Giovanni Falcone kennen, jenen Richter, den die Mafia 1992 ermordete. Grund genug für Boccassini, sich sofort ins sizilianische Caltanissetta versetzen zu lassen, um Falcones Mörder zu jagen. Schnell waren die Mafiosi gefangen. Der Carabiniere, der Totò Riina festnahm, fasste zusammen, welchen Ruf die Boccassini in Sizilien genoss: „Auch wenn sie eine Frau ist, war sie für uns doch immer ein Soldat.“

Zwei Jahre später war sie wieder in Mailand – in der Hochzeit der Korruptionsverfahren von „Tangentopoli“. Unter den Kollegen war sie berühmt für ihren „Caratteraccio“, ihren schwierigen Charakter. Ihr Chef hatte ihr vor dem Weggang nach Sizilien bescheinigt, sie sei „zur Gruppenarbeit nicht fähig“, und mancher Kollege nannte sie gar in Anspielung auf den afrikanischen Diktator „Bocassa“.

1996 wurde sie auf den Fall Berlusconi angesetzt. Der schreckte selbst vor kleinlicher Rache nicht zurück: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entzog seine Regierung der hoch gefährdeten Staatsanwältin den Begleitschutz, da die Beamten „angesichts der neuen Sicherheitslage anderweitig gebraucht“ würden. Da bekannte Boccassini erstmals, sie habe Angst – doch einschüchtern ließ sie sich nicht. MICHAEL BRAUN