: Du dummer Dackel!
„Tierfreunde“ verschenken immer noch Tiere. Und wenn sich die Kinder damit langweilen? Dann ab ins Tierheim!
Alexander Meierbrot klatschte in die Hände vor Freude. Unterm Weihnachtsbaum: ein lebender Dackel! Den hatte er sich doch schon lange gewünscht! Nur den Dackel, den hatte niemand gefragt. Als ihm Alexander um den Hals fiel, geriet der Hund angesichts dieses rießigen Zehnjährigen in Panik und schnappte nach ihm. Alexander heulte. Der Dackel wurde am Christbaum festgebunden. Er jaulte jämmerlich. Das Fest war im Eimer.
Alexanders Tante Trude, die den Hund erstanden hatte, war betreten. „Du hast dir doch einen Hund gewünscht?“, stammelte sie herum. „Na ja, wird schon werden. Das Hundchen wird sich an dich gewöhnen. Du bist doch tierlieb. Sind wir doch alle, nicht wahr?“ Alexander nickte und schniefte. „Die Gans ist fertig“, rief seine Mutter aus der Küche.
So ähnlich wie bei Meierbrots geht es vielerorts während der Festtage zu. Haustiere sind ein beliebtes Weihnachtsgeschenk – vor allem für Kinder. Katzen, Hunde, Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen sitzen verschreckt unter der Tanne; weiße Mäuse und Ratten verkriechen sich in ihren winzigen Käfigen. Erwachsene, die sich für tierlieb halten, kaufen ihrem Nachwuchs lebendiges Spielzeug.
Das Malheur fängt an, wenn die Kinder entdecken, dass die Tiere einen Eigensinn haben. Der Hund bellt, die Katze kratzt, die Ratte beißt, das Kaninchen kackt. Und der nette kleine Clownsfisch Nemo schwimmt schon nach ein paar Tagen bauchoben, weil das Aquarium nicht funktioniert. Ein Hamburger Tierhändler berichtete kurz nach Start des Kinofilms „Findet Nemo“ von einem Elternpaar, das der Tochter einen Clownsfisch kaufen und im Gartenteich aussetzen wollte.
Also beginnt, wenn die Tiere die Feiertage überlebt haben, schon zwischen den Jahren die große Umtauschsaison. Die Zoohandlungen nehmen ihre Verkaufsschlager meistens nicht zurück, ergo wandern die Lieblinge ins Tierheim. Nach allen Feiertagen gibt es dort Katzen- und Kaninchenstau. Nicht wenige Familien wollten vor allem die billigen Kleintiere so schnell wie möglich wieder loswerden, „wenn die Kinder merken, dass sie den Stall regelmäßig saubermachen und ans Futter denken müssen“, beschwert sich Volker Wenk, Leiter des Berliner Tierheims. Ungefähr ein Drittel der im Heim gelandeten Hamster, Meerschweinchen und Kaninchen waren einstmals Geschenke von „Tierfreunden“ an „Tierfreunde“. Wegwerfartikel, die sich das Lebendigsein dummerweise nicht abgewöhnen konnten und nun traurig in einer Ecke hocken.
Die wenigsten, die mit einem Tier anmarschiert kämen, geben ehrlich zu, dass sie das geliebte Puschelchen schnell wieder loswerden wollten, berichtet der Heimleiter. Manche behaupteten, es sei ihnen zugelaufen, andere hätten plötzlich Allergien, wieder andere erklärten, das Tier kratze oder beiße. Von rund 20 Millionen Haustieren, die in der Bundesrepublik in etwa 11 Millionen Haushalten leben, werden jährlich rund 300.000 in Heimen abgeliefert – Trend rasant steigend. Allein 110.000 davon sind Hunde.
Der Berliner Tierschutzverein warnt deshalb auf seiner Website vor tierischen Geschenken unterm Christbaum. Und rät dringlich, sich vor dem Kauf eines Hundes oder einer Katze erst einmal einige Gewissensfragen zu stellen: Freut sich der Beschenkte? Hat er genügend Geld, Platz und Zeit für das Tier? Und wer kümmert sich im Urlaub?
So lobenswert diese Warnungen sind: Auch die Tierschutzvereine sind oft nicht in der Lage, ohne Sentimentalitäten Tiere als Tiere anzuerkennen. Für die Homepage des Berliner Tierheims posieren die Hunde „Bella“ und „Tapsi“ mit albernen Weihnachtsmannmützen auf dem Kopf. „Wenn die Tierpfleger dann wie gute Weihnachtsengel mit festlich geschmückten ‚Bescherungswagen‘ durchs Tierheim ziehen“, kann man über die Weihnachtsfeier im Berliner Tierheim lesen, „dann ist das mehr als eine liebenswerte Tradition: Die Berliner lieben es, die heimatlosen Tiere an diesem Tag ohne schlechtes Gewissen zu besuchen, ihnen etwas Gutes zu tun, sie einmal richtig zu verwöhnen.“ ANNETTE JENSENUTE SCHEUB
Annette Jensen, 41, und Ute Scheub, 48, sind freie Journalistinnen und leben in Berlin