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Archiv-Artikel

Politisches Comeback in Taiwan

Die schon abgeschriebene Oppositionspartei Kuomintang gewinnt überraschend die Parlamentswahlen. Das ist ein Votum für einen gemäßigteren Chinakurs der Regierung

PEKING taz ■ Eine Wahl nach der anderen hatte Taiwans berühmte Oppositionspartei in den letzten Jahren verloren. Die Kuomintang (Nationale Volkspartei), die vor der kommunistischen Revolution von 1949 über ganz China regierte und dann über 50 Jahre die Macht auf Taiwan innehielt, galt schon als Relikt der Geschichte. Doch nun gewannen die ehemaligen Anhänger des Generalissimo Tschiang Kai-chek, der die KMT von den 20er-Jahren bis zu seinem Tod 1975 führte, überraschend die taiwanischen Parlamentswahlen vom Samstag.

Dabei galten die Wahlen als eine ausgemachte Sache für das Regierungslager. Erst im Frühjahr war Präsident Chen Shui-bian, der von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) unterstützt wird, mit knapp über 50 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Die meisten Beobachter hatten eine Mehrheit der DPP auch für die Parlamentswahlen vorausgesagt. Doch am Samstag entfielen auf die DPP und die mit ihr verbündeten Parteien nur 101 der 225 Abgeordnetenmandate, eins mehr als bisher. So kann Präsident Chen auch in Zukunft nur mit einem Minderheitskabinett regieren. Die Kuomintang und ihre Verbündeten gewannen dagegen 114 Mandate, eines weniger als bisher, aber ausreichend für eine Parlamentsmehrheit.

Der Wahlausgang wird weitreichende politische Folgen haben. Chen, der noch am Freitag an 23 Wahlveranstaltungen teilgenommen hatte, war mit seiner Partei angetreten, „die Geschichte neu zu schreiben“. Der Kuomintang hatte er im Wahlkampf vorgehalten, die Insel in Chaos und Korruption stürzen zu wollen. Hintergrund der scharf geführten Kampagne war Chens Plan, im Jahr 2006 eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung auf der Insel abzuhalten und bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2008 eine neue Verfassung einzuführen. Dieser Plan ist nun in Frage gestellt. Ohne Zustimmung des Parlaments kann der Präsident auch per Volksentscheid keine Verfassungsänderung herbeiführen. Damit entspricht der Wahlsieg der Opposition auch einem Votum für einem gemäßigteren Chinakurs.

Peking betrachtet Taiwan seit 1949 als abtrünnige Provinz und droht mit einer Invasion, sollte Taiwan sich für unabhängig erklären. Entsprechend hatte Peking Chens Verfassungspläne kritisiert, die man als Schritt zu einer größeren staatlichen Unabhängigkeit Taiwans verstand. Nicht ganz ohne Grund. So hatte Chens wichtigster Verbündeter im Parlamentswahlkampf, der ehemalige Präsident Lee Teng-hui, offen für die Unabhängigkeit der Insel plädiert. Doch die von Lee geführte Taiwan-Solidaritätsunion verlor am Samstag ein Mandat und kam nur noch auf 12 Sitze. Damit dürften es die Befürworter einer radikaleren Verfassungsreform und größeren Unabhängigkeit schwer haben. China und Taiwan müssten „den Frieden suchen, nicht den Krieg“, sagte Wahlgewinner Lien Chan in seiner ersten Rede nach dem Sieg. Lange Zeit hatte die Stimme von KMT-Chef Lien kaum politisches Gewicht. Jetzt hörte man ihm wieder zu.

GEORG BLUME