: Politik, die Bürger schafft
Zum Beginn der Etatberatungen in der Bürgerschaft liefern sich die Großkopferten eine wenig prickelnde Generaldebatte. SPD und GAL üben staatstragend Kritik am Senat – und der Bürgermeister redet lieber über die Versäumnisse von Rot-Grün in Berlin
von Markus Joxund Sven-Michael Veit
Ungerührt von den Protesten draußen vor der Tür begann die Bürgerschaft gestern mit ihren dreitägigen Haushaltsberatungen. Zur Abstimmung steht ein jeweils 9,8 Millionen Euro betragender Doppelhaushalt für die nächsten zwei Jahre. Traditionell am Anfang stand die Generaldebatte über die Senatspolitik – gemeinhin die Stunde der Abrechnung für die Opposition.
Der Gestalter
Eine Chance, die Michael Neumann zu einer staatsmännisch zu nennenden Rede nutzte. Abseits kämpferischer Wortakrobatik und würziger Polemik stellte der SPD-Fraktionschef in seiner ersten Generaldebatte als Oppositionsführer sozialdemokratischen Gestaltungswillen in den Vordergrund: „Sie haben keinen Plan, wie Sie die Zukunftsaufgaben bewältigen wollen“, hielt Neumann dem CDU-Senat vor, dessen „Gestaltungskompetenz“ sich beschränke auf „die Tilgung von vermeintlichem Sozialklimbim und wortreich präsentierte Leuchtturmprojekte“.
Schließung von Frauenhäusern, erneutes Kita-Chaos, drohender Verkauf des LBK entgegen Volkes erklärtem Willen, Milliardengrab U4 in die Hafencity – kaum ein Politikfeld, das die SPD besser beackern würde, wenn sie eine Mehrheit im Parlament hätte, ließ Neumann aus. Nur zweimal ließ er die Angriffslust erkennen, welche gemeinhin von Oppositionsführern zu erwarten ist. Als er „Investitionen in Beton statt in Menschen“ zum „Maßstab der hilflosen Finanzpolitik“ des Senats erklärte. Und als er Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig als „feige“ bezeichnete, weil sie vorige Woche die Debatte mit Eltern, Lehrern und Schülern im Schulausschuss geschwänzt habe. Die geforderte Entschuldigung für dieses „ungehörige Verhalten“ blieb aus.
Der Hohesänger
Mit einem monoton intonierten Hohelied auf die „Erfolge dieses Senats“ konterte CDU-Fraktionschef Bernd Reinert, auch nicht gerade ein Cicero der politischen Rede. Wichtigste Aufgabe von Politik sei es, die Wirtschaftskraft Hamburgs zu stärken. Reinert feierte den Industriestandort Hamburg, jubelte über den boomenden Hafen, bedankte sich untertänigst bei der Regierung für deren „erfolgreiche Wirtschaftspolitik“ und forderte SPD und GAL auf, sich „lernfähig zu zeigen“. Hamburg sei „Hochburg der Existenzgründer“ und „hochattraktiv“ für Unternehmen und Touristen. Zudem sei die Stadt familienfreundlich und garantiere gute Bildungsangebote. „Wir machen keine Politik, die uns zu Everybody‘s Darling macht“, krokodiltränte der CDU-Vordere: „Viele der Einschnitte tun auch uns weh.“
Die Staatsfrau
Das Problem von Christa Goetsch ist, dass sie ihren Gegner nicht antrifft. Gern würde sie mit dem Bürgermeister selbst, flötete die GAL-Fraktionschefin, „über die Zukunftsaufgaben Bildung, Integration, Arbeit und soziale Gerechtigkeit streiten“, aber Ole von Beust trete ja „auf den zentralen Politikfeldern gar nicht in Erscheinung“. Unverantwortlich findet sie das: „Wegducken gilt nicht, Herr von Beust.“
Das aber war es auch bei der GAL schon mit Ansätzen zu scharfzüngiger Polemik. Mit staatsfrauischer Sachlichkeit knöpfte sich Goetsch einzelne Themen vor: Die „soziale Schere“ kritisierte Goetsch, die weiter aufgehe durch die Bildungs- und Sozialpolitik des Senats. Verfehlte Wirtschafts- und Arbeitspolitik attestierte sie der CDU ebenso wie eine ausgeprägte Abneigung gegen menschliche Integrationspolitik: „Sie reden von der Weltstadt, aber lieber wäre Ihnen, wenn die Welt draußen bliebe.“
Am Kita-Chaos aber kam Goetsch selbstredend nicht vorbei, zumal es „einen Spitzenplatz auf der Rangliste Hamburger Unworte des Jahres sicher“ habe. Die Arbeitsverweigerung von Dinges-Dierig konnte sie ebenfalls nicht übergehen. Und das sozialpolitische Credo von CDU-Finanzsenator Wolfgang Peiner, wer bestelle, müsse auch bezahlen, mochte sie kaum glauben: „Wir sind hier nicht in der Kneipe, Herr Peiner, sondern in einem Gemeinwesen“, mahnte Goetsch. Nur hörten die Adressaten kaum zu: Die halbe CDU-Fraktion pausierte während ihrer Rede im Parlaments-Café.
Die Bundespolitiker
Frisch gestärkt lauschten die Christdemokraten dann ihrem Bürgermeister, der mit einem eleganten Ausfallschritt auf das Feld der Bundespolitik auswich und aufgekratzt kundtat, dass die ökonomische und soziale Situation in Deutschland Alarmstufe Rot habe. „Tun Sie doch nicht so, als könnten Sie nichts dafür“, ätzte von Beust in Richtung der Opposition, machte eine Kunstpause und setzte seine Pointe: „Das ist das Ergebnis von rot-grüner Sozialpolitik in Berlin.“ Vor allem Familien und Aussiedler seien die Verlierer. Sozialdemokraten seien es auch gewesen, die Hamburg finanziell in die Grütze gesteuert hätten. „Was wir eigentlich machen wollten, können wir deshalb nicht bezahlen“, barmte von Beust.
Konsolidieren, um Kraft für Investitionen und Wachstum zu haben, sei das Wesen seiner Politik. Der „Schulterschluss zwischen Stadt und Wirtschaft“ schaffe Lehrstellen, brüstete sich der Bürgermeister und feierte den Ausbau von CCH und Jungfernstieg sowie den Erhalt des Bundeswehrkrankenhauses. „Wir werden diese Politik, die nicht verschiebt und nicht vertarnt, fortsetzen“, kündigte vonBeust am Ende seiner Reihung von Schlagworten an und rief trotzig: „Wirtschaftskraft rauf, Sozialdemokraten runter.“