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Archiv-Artikel

„Es soll kein Bild für alle geben“

Christian von Borries

„Wenn Klassik nicht mehr im Kulturtempel stattfindet, verändert sie ihre Inhalte. Davon bin ich überzeugt. Ob es allerdings funktioniert, das müssen die Leute entscheiden“„Als Soloflötist macht man, was der Dirigent will, und hält den Mund. Es gibt ja kaum ein autoritäreres System als den Orchesterbetrieb. Fast wie beim Militär“

… kennt sich aus mit klassischer Musik. Als Soloflötist hätte er Karriere machen können. Aber er wolle „kein Denkmalschützer“ sein. Ihn interessieren die Gebrauchsspuren der Musik mehr. Seit ein paar Jahren lebt der 42-Jährige in Berlin und macht mit Aktivitäten, die „Musikmissbrauch“, „Masse und Macht“ oder „Psychogeographie“ heißen, auf sich aufmerksam. Dabei werden Stücke zum ersten oder zum letzten Mal gespielt. Sie werden zeitlich gerafft oder gedehnt. Da wird nebenbei flaniert und geflirtet. Fragmente werden ergänzt, Räume akustisch verändert, gebrauchte Musik verschönt und klassische Musik verbraucht. Nächstes Ereignis: am 4. Januar „Psychogeographie III/2“ auf dem Leipziger Platz um 19 Uhr

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB UND THOMAS MAUCH

taz: Herr von Borries, Sie sind zum Enfant terrible der klassischen Musik aufgestiegen.

Christian von Borries: Wo ich herkommen, gilt die bürgerliche Kultur. Meine Auseinandersetzung damit hat dazu geführt, dass ich mich einerseits für Inhalte wie die klassische Musik interessiere, dass es mich jedoch andererseits immer mehr angewidert hat, wie sie von der bürgerlichen Gesellschaft benutzt wird, um damit gesellschaftliche Grenzen abzustecken. Mir liegt nichts daran, dass das, was ich tue, darauf hinausläuft, dass ich Enfant terrible bin. Für mich hat das eine Folgerichtigkeit, was ich mache, ich kann das begründen.

Ihr Name bringt niemand in Rage?

Offensichtlich doch, wenn es beispielweise in der FAZ eine Abmachung gibt, nicht über mich zu berichten. Ich finde das ja gut, dass das bürgerliche Organ sagt, das ist so grauenhaft, was der macht, dem geben wir keine Öffentlichkeit mehr.

Was machen Sie denn?

Ich nehme klassische Musik aus ihrem angestammten Kontext heraus, wodurch sie sich verändert. Ich gehe mit ihr dahin, wo die Leute sind, oder bringe sie an ungewohnte Orte wie die Cargolifterhalle oder den entkernten Palast der Republik und inszeniere so gewissermaßen Konzerte, in denen niemand mehr auf einem Konzertstuhl die Darbietung über sich ergehen lassen muss. Zudem verwerfe ich die Idee von der originalgetreuesten Interpretation. Ich führe Musik auf, die noch nie gespielt wurde, stelle Verbindungen her zwischen klassischer und elektronischer Musik sowie musique concrete, also Geräuschen, die uns umgeben.

Ist das antibürgerlich?

Wenn man mit dem, womit sich die bürgerliche Kultur definiert, und dazu gehören Opern und die Klassik, anders umgeht und deren Strukturen und Missverständnisse aufdeckt, dann fühlen sich die, die sich darüber definieren, frontal angegriffen. Wenn es dann heißt, ich sei der Schlingensief der Klassik, dann ist das Teil des gleichen Systems, nämlich der Kategorisierung. Damit wird die Kontrolle über die Abweichung wieder hergestellt. Im Gegensatz zu Schlingensief treibe ich allerdings weniger ein Spiel damit, was mein Tun beim Publikum wohl bewirken könnte. Mir geht es um Aneignungs- und um Lernvorgänge. Deshalb interessiert mich auch die Verwertungslogik in der Kultur nicht. Nach dem Motto: „Mach eine geile Show, geh auf Tour!“ Als ich wusste, ich kann als Erster in den Palast rein, hätte ich mir natürlich noch einen Star einladen können. „Nimm die Puhdys, die Leute kommen doch von da“, hat jemand geraten. So funktioniert der Kulturbetrieb. Mir ist das zu wenig.

Die Orte, die Sie bespielen, lassen Eventkultur aber durchaus erwarten.

In dem Augenblick, wo ich spektakuläre Orte auswähle, ist das natürlich ein Risiko. Die Cargolifterhalle etwa. Ich wollte dort jedoch was machen, was dem Spektakelbegriff widerspricht. Ich habe mich gefragt, wie kann ich an so einem aufgeladenen Ort eine vierte Dimension reinbringen. Das Denken etwa oder die Politik und die Zeit. Am Ende wurde in der Halle dann die leiseste und die längste Musik gespielt. Auf Krankenhausbetten konnte man sich in der riesigen Halle bewegen. So ist die Veranstaltung kein Großereignis mehr, sondern etwas Kompliziertes, was nach politischen Antworten auf Dot-Com-Business, Größenwahn, Subventionsbetrug oder den deutschen Mythos Zeppelin sucht.

Sie wollen klassische Musik nicht nur gegen den Strich bürsten, sondern sie im Alltag verankert wissen.

Wenn Klassik nicht mehr im Kulturtempel stattfindet, dann verändert sie die Inhalte. Davon bin ich überzeugt. Ob es allerdings funktioniert, das müssen die Leute entscheiden. Natürlich hat das etwas mit dem Kunstbegriff selbst zu tun. Musik in der Konzerthalle ist l’art pour l’art. Musik bei Cargolifter ist dazu eine Antithese. Die Behauptung des Medientheoretikers Friedrich Kittler, diese Halle sei ein neues Bayreuth, zeigt im positiven Sinne nur die Ratlosigkeit, die entsteht, wenn etwas in kein Raster passt. Mit Musik umgehen ist immer schwierig. Es ist die Manipulationskunstform per se. Dies offen zu legen, ist die Herausforderung, der ich mich stelle.

„Musikmissbrauch“ heißt eine Konzertreihe, die Sie organisiert haben. Was soll das sein?

Im Grunde ist das ein alberner Begriff. Es geht natürlich auch dabei um eine Rekontextualisierung. Nach dem Motto: Man kann doch so eine Beethovensymphonie nicht an einer Autobahn aufführen. Warum nicht? Dahinter steckt die ideologische Behauptung, dass es einen Urtext gibt, der die Unberührbarkeit des Kunstwerks propagiert.

Wie ein Brandenburgisches Konzert, das verhackstückt in den Warteschleifen der Telefonleitungen auftaucht. Aber was für eine Kultur soll das sein?

Ich kann keine moralische Aussage darüber machen, ich nehme es wahr wie einen Vogel, der an mir vorbeifliegt.

Was bringt es, den Gebrauchsspuren in der Musik nachzuspüren?

Ich glaube, es gibt nichts als Gebrauchsspuren. Selbst die Behauptung eines Urtextes ist eine Gebrauchsspur. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit ist nur wichtig, wenn es eine Aussage für die Gegenwart macht.

Wenn das stimmt, warum sind Sie dann so ein Exot?

Das versteh ich auch nicht.

Ihre Arbeit hat durchaus was Pädagogisches.

Wenn es so wäre, dann müsste ich mehr Programmhefte schreiben. Ganz oft fragen mich die Leute, kannst du nicht ans Mikrofon und uns das mal erklären. Aber das Publikum konditionieren, das liegt mir am allerfernsten. Jeder soll sich selbst ein Bild machen. Es soll nicht ein Bild für alle geben. Mir geht es bei meiner Arbeit um ein Gegenkonzept von Wahrnehmungsmöglichkeiten und damit um ein Gegenkonzept von uns.

Wie soll das gehen?

Ich versuche zu vermitteln, was Musik bewirkt und wie anders ich durch die Welt gehe,wenn ich sehe, was sie bewirkt. Es wäre natürlich zu simpel, zu sagen: „Komm in mein Konzert und du wirst die Welt verändern.“

Wie passt Wagners Musik zu alldem? Die taucht immer wieder in Ihrem Musikmissbrauchskonzept auf.

1870, am Anfang des deutschen Imperiums, steht Wagners Götterdämmerung. Kein musikalisches Beispiel taugt mehr als Identifikationsmoment für eine Nation. Das ist der politische Aspekt. Andererseits zeigt Wagners Musik hervorragend, was gut und gefährlich ist an Musik. Die greift einen von hinten und man merkt nicht, was mit einem passiert. Ich würde das nicht benutzen, wenn ich es nicht gut und gleichzeitig grauenhaft fände.

Sie waren selbst auf dem besten Weg, als Soloflötist des Züricher Opernorchesters aufzusteigen. Oder unterzugehen?

Wieso ist es immer wichtig, über biografische Details zu sprechen. Mich selber interessieren sie bei anderen auch nicht.

Sie haben vorher lange darüber reflektiert, dass Musik gesellschaftliche Matrix ist. Umgekehrt ist es nicht unwichtig zu erfahren, wie jemand seinen eigenen Weg darin findet.

Dafür reicht die Feststellung, dass es mit Sozialisation zu tun hat.

Ihr Untergehen im klassischen Musikbetrieb interessiert.

Es gab viele Momente in meiner Vergangenheit, wo ich den Eindruck hatte: Jetzt passiert was Grauenhaftes. Das waren so Situationen, wo ich angeeckt bin, wo ich die Erfahrung gemacht habe, dass es nicht so einfach ist mit mir.

Sie haben in den 80er-Jahren in Berlin gelebt und, wie es damals üblich war, alles hinterfragt. War es eigentlich klar, dass diese Erfahrungen Sie einholen würden, als Sie auf dem besten Weg waren, als Musiker zu reüssieren?

Monatlich Geld auf dem Konto zu haben und gleichzeitig unglücklich sein ist keine Alternative zu irgendwas.

Hat man als Soloflötist keine Freiheiten?

Nein, da stellt man seine Zeit zur Verfügung, macht, was der Dirigent will, und hält den Mund. Es gibt ja kaum ein autoritäreres System als den Orchesterbetrieb. Fast wie beim Militär.

Zuerst haben Sie versucht, übers Dirigieren mehr Einfluss auf die Präsentation klassischer Musik zu nehmen. Warum hat das nicht wirklich geklappt?

Ich dirigiere ja mittlerweile. Allerdings nur, wenn man mir eine Carte blanche gibt. Es interessiert mich nicht, ein Programm abzudirigieren. Aber das weiß man mittlerweile auch.

Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit den Musikern?

Das, was die von mir an Noten aufs Pult kriegen, ist sehr ungewöhnlich. Da fühlen sich die Musiker manchmal in ihrer Handwerkerehre beleidigt. Für sie gilt: Das kann man nicht machen mit den Sachen. Es dauert, bis die kapieren, dass ich kein Scharlatan bin.

Ihre neuen Projekte heißen „Masse und Macht“ oder „Psychogeographie“. Die Titel wirken politischer als „Musikmissbrauch“? Worum geht es?

Bei „Psychogeographie“ geht es um die Frage, ob sich Orte als Inspirationsquelle für einen musikalischen Vorgang eignen und ob die Musik die Orte umdefinieren kann. Hinter „Masse und Macht“ verbergen sich ein Label und monatliche Clubveranstaltungen. Dabei gibt es Musik und die Auseinandersetzung mit deren ideologischem Gehalt.

Aus allem, was Sie sagen, spricht eine Sehnsucht nach Aufklärung. Nur was Sie aufklären wollen, lässt sich nicht fassen. Wie kommt das?

Aufklärung, das ist ein historischer Begriff. Ich will auch unterhalten. Ich will möglichst wenig von diesen ganzen äußeren Parametern festlegen. Ich will was anbieten, was nicht so klar ist. Ich möchte niemanden an die Hand nehmen und ihn irgendwohin schleifen. Das ist nicht erkenntnisfördernd. Vielleicht wehre ich mich gegen die Idee des Aufklärenden oder Pädagogischen, weil es nicht darum geht, zu sagen, dass zwei und zwei vier ist.

Sie haben von sich selbst mal gesagt, dass Sie nicht käuflich sind. Das mutet altmodisch an. Aber die eigentliche Frage: Geht es überhaupt? Sind die kommerziellen Gegenkräfte nicht stärker?

Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. In dem Moment, wo Leute, die dem Staat kritisch gegenüberstehen, vom Staat für ihre Kunstprojekte Geld bekommen, ist das so eine negative Käuflichkeit. Was ich tue, spielt in einem gesellschaftlichen Kontext, Finanzierung ist ein Aspekt davon. Ich will mich nicht außerhalb der Gesellschaft definieren, deshalb schmeiße ich ja nachts auch nicht mit Bomben.