: Genialer Türöffner soll sich bewähren
Wegen seiner Verwicklung in den Kölner Müllskandal ist der ehemalige SPD-Politiker Karl Wienand zu einer Bewährungsstrafe und 25.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Damit ist der Skandalumwitterte wieder mal glimpflich davon gekommen
Von Pascal Beucker
Es war ein kurzer Prozess: Gerade mal zwei Verhandlungstage musste Karl Wienand wegen seiner Verwicklung in den Kölner Müllskandal vor dem Landgericht verbringen. Gestern sprachen die Richter ihr Urteil über einen der schillerndsten sozialdemokratischen Politiker der Nachkriegszeit: Mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren sowie 25.000 Euro Geldstrafe wegen Beihilfe zur Untreue ist der 78-Jährige mal wieder glimpflich davon gekommen. Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Haft gefordert – ohne Bewährung.
Als vor zweieinhalb Jahren erstmals Wienands Name im Zusammenhang mit dem Kölner Müllskandal auftauchte, reagierte der damalige SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck verblüfft: „Lebt der überhaupt noch?“ Die Genossen hatten den Mann aus Windeck an der Sieg schon fast vergessen. Dabei war er einmal eine ganz große Nummer in der SPD.
Die Karriere des Bauarbeitersohns, dessen Vater die Nazis als Kommunisten einsperrten, verlief rasant. Nach schwerer Verwundung im Zweiten Weltkrieg und sowjetischer Gefangenschaft 1947 in die SPD eingetreten, wurde er bereits mit 24 Jahren Leiter der DGB-Bundesschule in Bielefeld, mit 25 Jahren Mitglied des SPD-Bezirksvorstands Mittelrhein und Bürgermeister der Gemeinde Rosbach. Mit 26 Jahren zog er 1953 als jüngster Abgeordneter in den Bundestag ein. Ab 1967 avancierte Wienand als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion „zum sozialliberalen Kernbereich, zur Handvoll ihrer wichtigsten Figuren“, wie es der Historiker Arnulf Baring mal formuliert hat.
Der zum rechten Parteiflügel zählende „Kanalarbeiter“ galt als Mann für „heikle Fälle“ und „fürs Grobe“. Die Kungel- und Saufkünste des engen Vertrauten Herbert Wehners waren legendär. Aber schon 1971 verhedderte sich der umtriebige Skatspieler und Jäger in einem Geflecht von lukrativen Partei- und Geschäftsbeziehungen. So wurde ihm nach der missglückten Notlandung eines Flugzeugs, bei der 22 Menschen starben, vorgeworfen, die verantwortliche Charterfluggesellschaft „Paninternational“ nicht ganz uneigennützig vor einer Prüfung durch die Luftfahrtbehörde geschützt zu haben.
Vor einem Untersuchungsausschuss bezeichnete Wienand indes die überwiesenen Geldbeträge an „Charter Charly“ als völlig korrekte Darlehensrückzahlungen. Der Ausschuss kam zu keinem abschließenden Urteil. Im Dezember 1973 wurde jedoch seine Immunität aufgehoben. Ein Jahr später musste Wienand sein Bundestagsmandat niederlegen. Im November 1975 wurde er wegen Steuerhinterziehung zu insgesamt 102.000 Mark Geldstrafe verurteilt.
Wienand startete seine zweite Karriere. Er wurde Unternehmensberater. Zu seinen Klienten gehörte 20 Jahre lang auch der Gummersbacher Anlagenbauer Steinmüller und 15 Jahre der Viersener Müllunternehmer Hellmut Trienekens. Wienand war der geniale Türöffner. Das sei besonders Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre sehr nützlich gewesen, als die Landesregierung bei der Abfallentsorgung den Ausstieg aus der Deponiewirtschaft forcierte und stattdessen die Müllverbrennungstechnik vorantrieb, gab vor zwei Jahren Trienekens der Kölner Staatsanwaltschaft zu Protokoll: „Mir wurde klar, dass Wienand zur damaligen Zeit einen erheblichen Einfluss auf Landes- und Kommunalpolitiker hatte.“ Dieser Aussage schloss sich gestern auch Staatsanwalt Robert Bungart in seinem Plädoyer an: „Wienand war damals in der Lage, alle Kanäle zu öffnen.“
Wie einflussreich Wienand war, zeigte sich auch daran, dass ihm sogar ein politisches Comeback zu glücken schien. 1980 wurde der Skandalumwitterte wieder in den Unterbezirksvorstand der SPD Rhein-Sieg gewählt, 1981 in den Vorstand des Bezirks Mittelrhein. 1985 gelangte er in den Parteirat der Bundes-SPD. 1990 war das parteipolitische Revival allerdings vorbei. Nachdem er wegen wiederholten Autofahrens unter Alkoholeinfluss zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden war, verzichtete Wienand auf seine Kandidatur für den Vorsitz im SPD-Unterbezirk Rhein-Sieg.
1994 kam der nächste Absturz. Wienand geriet unter Spionageverdacht. 1996 verurteilte ihn das Düsseldorfer Oberlandesgericht zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Million Mark Geldstrafe. Er habe sich aus Geldgier und verletzter Eitelkeit nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag mit der Stasi eingelassen und zwischen 1977 und 1989 etwa 1,3 Millionen Mark „Agentensold“ kassiert, befanden die Richter. Wienand bestreitet bis heute die Vorwürfe, doch der Bundesgerichtshof bestätigte Ende 1997 das Urteil. Am Ende begnadigte ihn Bundespräsident Roman Herzog 1999 – verbunden allerdings mit einer fünfjährigen Bewährungszeit.
Im April 2002 wurden die ersten Vorwürfe laut, Wienand habe Schmiergeldzahlungen beim Bau der Müllverbrennungsanlage vermittelt und auch selbst bis zu 2,1 Millionen Euro Schmiergelder kassiert. Am 13. Juni 2002 kam „Karlchen“, wie ihn der Ex-Geschäftsführer der städtischen Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft AVG, Ulrich Eisermann, im ersten Müllskandalprozess bezeichnet hat, deshalb in Untersuchungshaft. Rund einen Monat später setzte der SPD-Parteivorstand seine Mitgliedschaft aus. Fünf Tage später trat der verdiente Genosse aus der Partei aus. Das Ende einer großen Liebe.
Denn die Sozialdemokraten verdanken ihrem „Schlawienand“ viel: Ohne seine windigen Geschäfte wäre immerhin Willy Brandt wahrscheinlich 1972 als Bundeskanzler gestürzt worden. Die Namen der Unionsabgeordneten, die sich durch Wienands „Großzügigkeit“ überzeugen ließen, beim damaligen konstruktiven Misstrauensvotum nicht für den Unionskandidaten Rainer Barzel zu stimmen, hat der 77-Jährige bis heute nicht verraten. Nur die Anzahl gab er preis: „Es waren vier.“ Ähnlich verschlossen gab sich Wienand im Kölner Müllskandal. Nicht einmal die fast dreimonatige U-Haft konnte den schwer Herzkranken dazu bringen, zur Aufklärung der Schmutzgeschichte beizutragen. Sein spätes Eingeständnis am ersten Prozesstag, er habe bei dem Mülldeal rund eine Million Euro eingesteckt, bewertete Staatsanwalt Bungart gestern als „halbherziges Teilgeständnis“. Wienand habe nur so viel gestanden, dass er dadurch auf Strafmilderung hoffen konnte, befand auch der Vorsitzende Richter Martin Baur: „Von Reue können wir da nichts spüren.“