: Ya basta – noch immer
AUS OVENTIC WOLF-DIETER VOGEL
Auch an der Grenze zur besseren Welt geht nichts ohne Passkontrolle. Während der „Compa“ aufmerksam die Papiere studiert, warten jenseits des Zaunes schon die Stars der Bewegung: Emiliano Zapata, Che Guevara und Subcomandante Marcos. Von den Wänden der Blockhäuser blicken deren Konterfeis auf die einzige Straße des Dorfes Oventic. Dazu gehörende Devotionalien bietet die örtliche Ladenkooperative an, CDs von Manu Chao oder ein Remix von Reden der hauseigenen Kommandanten ebenso wie Coca-Cola, Camel-Filter oder Öko-Papayas. Selbst die heiligste aller Mexikanerinnen steht in den Regalen, die Jungfrau Guadalupe. Die Rebellen haben auch ihr Gesicht mit einen Tuch vermummt.
Die Zapatisten empfangen ihre Gäste im Auditorium Emiliano Zapata. Es ist kalt, und so sitzen die vier vom örtlichen „Rat der guten Regierung“ eingemummelt in Decken oder dicken Jacken. Zwei dunkle Augen, umringt von Lachfalten, blicken aus dem kleinen Schlitz in der über den Kopf gezogenen schwarzen Wollmütze. „Schreib deine Fragen auf und komm in zwei Tagen wieder. Oder vielleicht besser in drei.“
Wer mit der „guten Regierung“ sprechen will, muss Zeit mitbringen. Viel Zeit. Wie in allen autonomen zapatistischen Gemeinden ticken auch in Oventic die Uhren anders als im Rest der Welt. Jedes öffentliche Wort wird vorher kollektiv abgewogen. Und das dauert. „Wir arbeiten zwar immer, auch am Sonntag“, erklärt einer der Maskierten, „aber jetzt, in diesen Tagen, wo die Jahrestage anstehen …“ Die anderen drei nicken zustimmend. Und lachen.
Die Rebellen aus dem südmexikanischen Chiapas haben Grund zur Freude. Genau 20 Jahre ist es her, dass sich eine sechsköpfige Gruppe linker Städter aufmachte, um das Zapatistische Befreiungsheer EZLN zu gründen. In wenigen Tagen jährt sich außerdem zum zehnten Mal der Aufstand, mit dem sich die indigene Guerilla am 1. Januar 1994 der Weltöffentlichkeit bekannt machte. Mehrere tausend bewaffnete Indígenas stürmten damals sieben Städte des Bundesstaates. Nach zwölf Tagen schwerer Auseinandersetzung mit der mexikanischen Armee einigte man sich auf einen Waffenstillstand. Seither dominiert im Kampf der Zapatisten das Wort.
„20 und 10 – Das Feuer und das Wort“ heißt die Kampagne, mit der die Rebellen und ihre Sympathisanten an die Jahrestage erinnern und seit Wochen in ganz Mexiko mobil machen. Tausende Jugendliche kommen zu Solidaritätsfestivals mit den angesagtesten Ska-Gruppen des Landes, Bauern diskutieren über „Zapatismus und Landwirtschaft“ und in den Barrios von Mexiko-Stadt werden Videos über den Kampf der „Compas“ aus dem Süden gezeigt.
„Wir sind nicht in bester Verfassung, aber es geht uns besser als vor dem Januaraufstand“, resümierte jüngst der EZLN-Sprecher Subcomandante Insurgente Marcos. Der Sprecher der „guten Regierung“ in Oventic ergänzt: „Wir brauchen die mexikanische Bundesregierung nicht.“
Daran lassen auch die Zapatisten in den Altos, den Bergen im Norden der Provinzhauptstadt San Cristóbal de las Casas, keinen Zweifel. „Hier regiert das Volk, und die Regierung gehorcht“, verkünden die Schilder, die am Straßenrand stehen. Und damit auch wirklich klar ist, wer in San Pedro Polhó, Santa Catarina oder Magdalena de la Paz das Sagen hat, sind schwarze Kappen auf die Plakate gemalt. Die Dörfer hier im Hochland bekennen sich nur teilweise offen als zapatistische Gemeinden. Andere sind unter Kontrolle der katholisch-pazifistischen „Zivilgesellschaft Las Abejas“, der „Bienen“, oder der Priisten, der Anhänger der ehemals regierenden Partei der Institutionellen Revolution PRI. Wären nicht die Schilder am Straßenrand, man könnte nicht unterscheiden, wer zu wem hält.
Doch noch immer leidet die gesamte indigene Bevölkerung unter der Armut, daran konnten auch die Zapatisten trotz mancher Errungenschaften nichts ändern. Frauen plagen sich auch noch in kalten, regnerischen Wintertagen barfuß durch die Felder, die schlicht zusammengezimmerten Hütten bieten kaum Schutz vor der Kälte. Dafür informiert ein Schild der Landesregierung am Wegesrand: „Für ein besseres Leben“ baue man „im Rahmen eines Programms der Europäischen Union mit Hilfe des spanischen Roten Kreuzes 600 Wohnungen“.
„Wir Zapatisten nehmen kein Geld von der Regierung, auch wenn sie es uns immer wieder anbieten.“ Darauf legt man in Oventic großen Wert. „Wir haben unsere Klinik, unsere Schule, unseren ökologischen Anbau, unseren Handel ohne Hilfe der schlechten Regierung aufgebaut.“ Seit dem vergangenem Sommer haben sich die „Guten“ sogar formal von den „Schlechten“ losgesagt. Sie riefen am ersten Augustwochenende die so genannten Caracoles, wörtlich übersetzt Schneckenmuscheln, ins Leben.
In jeder der fünf Regionen, in denen die EZLN präsent ist, wurde eine Caracol als eine Art autonomer Regierung gegründet. Ein bis zwei Vertreter oder Vertreterinnen der jeweiligen autonomen Gemeinden bilden dabei die „Räte der guten Regierung“.
Sie sollen die Probleme innerhalb der Gemeinden und Schwierigkeiten mit nichtzapatistischen Kommunen regeln. Kurzum: Sie sollen alle Belange des zapatistischen Gemeinwesens behandeln. Insgesamt 30 Kommunen und mehrere hunderttausend Menschen sind nach Angaben der EZLN-Chronistin Gloria Muñoz Ramírez in diese „neue Etappe der indigenen Autonomie“ einbezogen. „Wir setzen nun einfach das Abkommen von San Andrés praktisch um“, erläuterte die EZLN-Kommandantin Esther.
Auf diese Vereinbarungen über „indigene Rechte und Kulturen“ hatten sich Guerilla und Regierung im Jahr 1996 in dem Städtchen San Andrés Sacamch’en de los Pobres geeinigt. Von der Regierung wurde sie bis heute allerdings nicht umgesetzt. Zwar verabschiedete das mexikanische Parlament 2001 ein „Indigena-Gesetz“, dieses ließ jedoch wesentliche Forderungen indigener Organisationen außer Acht. Für die Zapatisten war damit einmal mehr klar: „Ya basta!“ Es reicht! „Das war die Periode, in der wir gelernt haben, dass für Politiker das Wort keinen Wert besitzt“, erinnert sich Subcomandante Marcos.
Auch Lorenzo Vasquez gibt nichts auf die Regierung. Er wohnt in der Abejas-Gemeinde Joeyep, eine knappe Autostunde von Oventic entfernt. Mit seiner Frau und seinen sieben Kindern sitzt er um ein spärliches Feuer. Holz ist in Joeyep Mangelware, Strom gibt es nicht. „Ich finde es gut, dass sich die Zapatisten eine eigene Regierung geben“, sagt er. Trotzdem habe sich das Verhältnis zur EZLN verschlechtert. Die Abejas-Leute würden inzwischen nicht mal mehr in die nahe gelegene autonome Gemeinde Polhó eingelassen, kritisiert er, „obwohl einige unserer Angehörigen dort leben“. Die Caracoles, findet Vasquez, seien lediglich für die Zapatisten selbst geschaffen worden, andere würden ausgeschlossen.
Die pazifistischen Abejas haben vor sechs Jahren schwer unter den bewaffneten Auseinandersetzungen gelitten. In Joeyep erinnert ein Gedenkstein an die 1.095 Menschen, die wegen des „schmutzigen Krieges zwischen den Priisten und den Zapatisten“ hierher flüchteten. „Unsere Waffen sind zwar die Worte Gottes,“ erklärt Vasquez, „aber wir kämpfen für dieselben Ziele wie die Zapatisten.“ Deshalb hätten die Priisten – „die Paramilitärs“ – an jenem 22. Dezember angegriffen.
Dieser Wintertag im Jahr 1997 wurde für die Abejas zum Albtraum. Während eines Gottesdienstes im nahe gelegenen Acteal erschienen plötzlich über hundert Männer aus den Nachbardörfern. Ausgerüstet mit modernen Waffen, die nur vom Militär stammen konnten, erschossen sie 45 Menschen, unter ihnen viele Kinder. Vasquez fordert Gerechtigkeit, „denn bis heute sitzen nicht alle Mörder hinter Gittern“.
Lorenzo Presaria von der „Direktion der Zivilgesellschaft Las Abejas“ kritisiert vor allem, dass die Hintermänner in Armee und Regierung nicht belangt werden. „Die stacheln doch die Priisten auf, um dann einen Vorwand für ihre Präsenz in der Gegend zu haben.“ Presaria arbeitet im Gemeindezentrum des Bergdorfes Acteal. Keine 500 Meter entfernt stehen die Häuser jener Männer, die wegen des Massakers im Gefängnis sitzen. Ihre noch dort lebenden Angehörigen werden von mexikanischen Soldaten geschützt. „Das funktioniert ganz einfach“, erklärt Heike Kammer, die sich mit ihrer Organisation Sipaz darum kümmert, dass die Gruppen wieder miteinander reden. „Die Priisten nehmen die Unterstützung der Regierung an und vertreten folglich auch deren Interessen.“ Solche Erfahrungen gebe es überall, wo die EZLN präsent sei.
„Die Paramilitärs sind die Söhne der Indígenas“, sagt einer der Maskierten aus Oventic. „Sie leben in den Gemeinden, sie kennen die Leute und geben Information an die Militärs weiter.“ Immer wieder gebe es Schüsse, Angriffe, Patrouillen. Auch mit Übergriffen der Armee rechnen die Zapatisten ständig, selbst wenn in letzter Zeit wenig passiert sei. In der Caracol Oventic macht man sich deshalb trotz „guter Regierung“, alternativer Mülltrennung und internationaler Solidarität keine Illusionen auf einen schnellen Frieden. Und auch die Bewaffneten bleiben auf der Hut. Zwar soll die Dominanz der Guerilla gegenüber den autonomen Gemeinden eingedämmt werden, ließ Subcomandante Marcos wissen. Trotzdem werde man weiterhin „die Kommunen vor den Angriffen der schlechten Regierung und der Paramilitärs schützen“.