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Archiv-Artikel

Graben mit den bloßen Händen

Vier Tage nach dem schweren Erdbeben in Südostiran ist fast jede Aussicht geschwunden, im Trümmerfeld der Stadt Bam noch Überlebende zu finden

„Ob zehn-, zwanzig- oder hunderttausend, wen kümmert das? Irgendwie sind wir alle tot“

VON BEATE SEEL

Der dreizehnjährige Elias Jeddi hatte Glück im Unglück. „Ich hörte, wie die Wände und der Boden sich bewegten. Und ich hörte den Krach. Es war schrecklich. Ich wachte auf, und alles wurde dunkel“, berichtet der Junge, der in der südostiranischen Stadt Bam in einem Krankenhaus liegt, gegenüber der Washington Post. Bedeckt von einer Schicht Steinen und Balken wurde er nach einer Stunde von seinem Vater und älteren Bruder aus den Trümmern ihres Hauses gezogen. „Dann fing das Haus an zu brennen wegen dem Gas“, sagt Elias. Sein Vater wollte gerade zum Morgengebet gehen, als die Erde anfing zu beben. Er eilte von Zimmer zu Zimmer, weckte seine Frau und seine Tochter, als das Haus zusammenbrach. Elias und sein Bruder schliefen im zweiten Stock. Elias ist einer der rund 30.000 Menschen, die bei dem schweren Erdbeben am vergangenen Freitag verletzt wurde.

Für andere kommt jede Hilfe zu spät. 10.000 Leichen seien allein in Bam aus den Trümmern geborgen worden, sagt Brigadegeneral Hasan Rastegarpanah von der Revolutionären Garde. Weitere 2.000 seien nach ihrer Rettung den Verletzungen erlegen. „Ob nun zehn-, zwanzig- oder hunderttausend, wen kümmert das? Irgendwie sind wir alle tot“, sagt Moharram, deren Familie vor ihren Augen tot ausgegraben wird. Der achtjährige Ahmad sitzt mit seiner kleinen Schwester Simin am Straßenrand. Neben ihnen liegen vier Leichen. Ahmads Vater, ein Straßenhändler, ist bei dem Beben ums Leben gekommen. Seine Mutter wurde nach Kerman ins Krankenhaus gebracht. Dort ist sie aber nach Informationen der Nachbarn an ihren schweren Kopfverletzungen gestorben. Wie es jetzt weitergeht? „Weiß nicht, hoffentlich sind meine Onkel noch am Leben“, sagt Ahmad. Seine dreijährige Schwester hat die ganze Nacht nach ihrer Mutter geschrien, bis sie heiser wurde. „Jetzt schreit sie zumindest nicht mehr“, sagt der Bruder.

Siebzig Prozent der Häuser von Bam sind zerstört. Wer konnte, hat der Stadt bereits am Freitagnachmittag den Rücken gekehrt, auch aus Angst vor Nachbeben. Die Hauptstraße nach Kerman war verstopft mit tausenden vollgepackten Autos. Zehntausende Menschen verbrachten die Nächte in den Straßen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und scharten sich um kleine Feuer. Andere zündeten Palmwedel an und suchten im Licht dieser Fackeln weiter nach Verschütteten, wie Korrespondenten vor Ort berichten. Mitglieder von Hilfsorganisationen verteilten Decken und Zelte, die aber bei weitem nicht für alle reichten. Einige Verzweifelte brachen auf der Suche nach Lebensmitteln Geschäfte auf und bedienten sich. Glück im Unglück hatten auch 600 Häftlinge: Teile des Gefängnisses stürzten ein, und sie konnten im allgemeinen Chaos entkommen.

Rettungshelfer Omid Alipur sucht im Schutt nach Überlebenden. „Wir haben nichts, nur unsere bloßen Hände“, sagt Alipur, der über und über mit Staub bedeckt ist. Eine Leuchtjacke habe man ihm gegeben, aber keine Schaufel. Dafür kann sich seine Truppe auf Hilfe aus dem ganzen Land verlassen. Aus allen Himmelsrichtungen kamen Menschen, um die Rettungsmannschaften zu unterstützen. Vor den Blutannahmestellen in Teheran drängeln sich die Spender. Überall wurden Zentren eingerichtet, um Decken und andere notwendige Dinge zu sammeln.

In Bam gab es aber auch bittere Klagen über die langsame Reaktion der Regierung. „Sie haben nichts für uns getan“, sagt Mansur Ghoami der Washington Post. „Wir haben in der Erde gewühlt und die Menschen ausgegraben. Wir haben keine Hilfe erhalten. Die Leute sterben vor Kälte und Hunger“, sagt der Mann, der seine Schwester und ihre beiden kleinen Kinder verloren hat.

Iranische Regierungsbeamte geben zu, dass sie vom Ausmaß der Katastrophe überfordert waren. Doch Hossain Jafari von der UNO-Katastrophenhilfe sieht das anders. „Sie haben gute Kapazitäten, um mit Katastrophen umzugehen. Sie haben Hubschrauber, sie haben hunderte von Flugzeugen, sie haben Hilfsgüter. „Aber was das Vorbereitetsein und die Prävention angeht, ist ihre Kapazität sehr gering“, sagt der Experte der Zeitung.

Ein Grund für die hohe Zahl der Opfer ist die Bauweise in Bam. Die Häusern aus Lehmzieglen oder normalen Ziegelsteinen stürzten komplett zusammen, so dass es keine geschützten Ecken gab, wohin die Menschen sich eventuell hätten retten können, wie der britische Rundfunksender BBC berichtet. Hinzu kommt, dass Iran viele Häuser Baumängel haben. Mojtaba Hosseainzadeh, eine Cousine von Elias Jeddi, sagt der Washington Post, ihr Haus sei gerade einmal ein Jahr alt gewesen. „Ich hatte keine Chance, an irgendetwas zu denken. Plötzlich flog das Haus in die Luft und fiel auf den Boden.“ Ihr Bruder habe sie gerettet. „Er ist Ingenieur und hat in sein Haus viel Geld gesteckt, damit es erdbebensicher ist. Bei ihm ist nur ein Blumentopf runtergefallen.“MIT REUTERS UND DPA